Hamburg. Johanna Klug ist ausgebildete Sterbe- und Trauerbegleiterin. Die 28-Jährige engagiert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich im Hospiz- und Palliativbereich und befasst sich auch wissenschaftlich mit diesem Thema. In ihrem neuen Buch „Liebe den ersten Tag vom Rest deines Lebens“ erzählt die freie Autorin, die vorübergehend in Eckernförde lebt, von ihren Begegnungen mit Sterbenden. Im Interview gibt sie Tipps, wie die letzten Tage und Stunden eines Menschen gestaltet werden können.
Frau Klug, woran erkennen Freunde und Angehörige Anzeichen eines nahen Tods?
Johanna Klug: Da gibt es natürlich ganz viele Zeichen. Äußerlich verändert sich die Haut, und auch die Extremitäten werden schlechter durchblutet und sind deshalb kälter. Sterbende essen und trinken weniger, denn die Stoffwechselprozesse verändern sich. Der Mensch ist sterbend, und deshalb ist das nicht mehr notwendig. Dabei finde ich persönlich es sehr wichtig, den sterbenden Menschen nicht die eigenen Bedürfnisse überzustülpen, nach dem Motto: Ich möchte aber, dass du etwas isst, sonst stirbst du. Manche Menschen greifen in die Luft – das sogenannte Flockenlesen – oder die Atmung verändert sich.
Wie können sich Angehörige und Freunde einem Sterbenden gegenüber verhalten?
Ganz normal. Sterbende Menschen sind immer noch am Leben und wollen kein Mitleid. Niemand will zu einem Objekt degradiert werden. Deshalb ist es wichtig, ohne Erwartungshaltung oder mit der eigenen Hilflosigkeit diesen Menschen zu begegnen. Sterbende spüren es, wenn die eigene Unsicherheit so groß ist, dass ständig das Sterben ausgespart wird und stattdessen zum Beispiel nur über das Wetter gesprochen wird.
Worüber kann man mit dem Sterbenden reden?
Über alles. Ich spreche ja mit einem Menschen. So einfach ist das. Und je nach Lust und Laune sprechen wir mal über das Sterben und den Tod, dann aber auch wieder über das vergangene Leben, das Wetter oder lachen ganz viel.
Was kann man tun, wenn das Reden schwerfällt?
Es ist so wichtig, sich davon zu lösen, immer etwas sagen zu müssen. Oft gibt es keine Worte für das Unbegreifbare. Man ist einfach fassungslos. Aber das Dasein und -bleiben ist entscheidend.
Ohne Erwartung, ohne ständig auf die Uhr zu schauen und mit den Gedanken schon im nächsten Termin zu sein. Einfach da sein – im Hier und Jetzt, ganz präsent. Das ist schon alles.
Was empfehlen Sie, wenn der Sterbende nichts mehr essen oder trinken möchte?
Auch wenn es noch so schwerfällt, gilt es, das zu respektieren und akzeptieren. Wenn der sterbende Mensch aber zum Beispiel gerne Wein, Kaffee oder Bier getrunken hat, kann man die Lippen mit dieser Flüssigkeit benetzen. Oder ein bisschen Kokosöl oder Sahne auf die Lippen streichen. Der Mundraum ist superintim. Da braucht es viel Feingefühl. Für die Beziehung zu den Sterbenden hat das aber auch eine höchst verbindende Kraft. Dann kann es genau das sein, was den Menschen spüren lässt: Da ist jemand für mich da, nimmt mich wirklich wahr und ist ganz bei mir.
Gibt es besondere Möglichkeiten, den Raum zu gestalten, in dem der Sterbende liegt?
Das Setting ist auf jeden Fall wichtig, und in Hospizen oder auf Palliativstationen wird auch immer das Zimmer mitgestaltet. Man kann alles mitbringen und aufhängen, was einem wichtig ist und gefällt. Es gibt keine Begrenzungen. Vielmehr habe ich oft das Gefühl, wir begrenzen uns selbst. Aber im Moment des Sterbens sollten wir uns ganz frei machen von allen äußerlich auferlegten Zuschreibungen.
Haben Sie sonst noch einen Tipp?
Ehrlich gesagt gebe ich gar nicht so gerne konkrete Tipps oder Ratschläge, weil oft gleich an eine Checkliste gedacht wird. Allgemein empfehle ich, sich mehr auf die eigene Intuition zu fokussieren und darauf zu vertrauen. Präsent sein im Moment und die Stille mittragen, auch wenn sie uns buchstäblich zerreißt und wir es nicht aushalten können. Aber genau dazwischen entstehen die Momente von Vertrauen, Verbindung und Verletzlichkeit, die die eigentliche Beziehung noch mal auf eine tiefere Ebene transportieren.
Wie können Freunde und Angehörige ihre Erfahrungen im Umgang mit Sterbenden verarbeiten?
Es gibt tolle Angebote von Trauercafes und Spaziergängen bis hin zu Selbsthilfegruppen. Aber das ist natürlich nicht für jede oder jeden etwas. Was ich über die Jahre gemerkt habe: Der Austausch ist wichtig und das Schaffen gemeinsamer und individueller Rituale.
Vielleicht hilft es am Anfang, den Tisch immer noch für die verstorbene Person bei besonderen Anlässen mitzudecken oder eine Kerze anzuzünden – und dabei nicht nur der Trauer, sondern auch all den schönen und wertvollen, aber vielleicht auch nicht so schönen Erinnerungen einen Raum zu geben. Denn der Mensch ist erst dann richtig tot, wenn niemand mehr an ihn denkt, oder? (KNA)
Buch-Tipp
Johanna Klug: “Liebe den ersten Tag vom Rest deines Lebens.”
Gräfe und Unzer Edition München 2022, 224 Seiten, 17,99 Euro.
Das Buch können Sie hier bestellen. Die Evangelische Bücherstube gehört zur Evangelischen Zeitung.