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„Wir müssen dringend etwas tun“

Jugend und moderne Welt waren im Blick der Tagung des Parlaments der Evangelischen Kirche in Deutschland. Aber auch die Aufarbeitung von Missbrauch – und das Gedenken an schwere Zeiten

Würzburg – Congress Centrum. Draußen fließt gemächlich der Main. Drinnen, im großen Saal, wiegen sich Menschen jenseits der 50 gemächlich in den Hüften. Sie sind aufgestanden. Auf den Tischen liegen Ordner, Beschlussvorlagen und Gummibärchen. Vorne, links in der Ecke neben dem Podium, hat sich ein Trupp Musikanten zusammengefunden: Zwei Gitarren, ein E-Bass, Klavier, zwei Saxophone. Eine Vorsängerin, die den Rest des Saals zum Mitklatschen animiert; im Takt und immer schön auf der Eins und der Drei.
Ein bisschen erinnert das ganze an die TV-Hitparade in den 70ern. Tatsächlich ist das hier die Synode, also das Parlament der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), bei ihrer jährlichen Herbsttagung.
Man muss den Synodalen attestieren, dass sie sich redlich mühen. Das Hauptthema während der vier Tage im Congress Cen­trum ist die Frage, wie die Kirche die Jugendlichen wieder ansprechen kann. Man hat junge Menschen zur Synodaltagung eingeladen. Will von ihnen wissen, wie sie Glaube, Welt und Kirche sehen. Die Band spielt, die Vorsängerin animiert, die Synode singt und schwingt. „Himmel und Erde werden neu, nichts bleibt, wie es ist.“ Neues geistliches Liedgut.
Eine der jungen Gäste, eine Frau Anfang 20, schüttelt den Kopf: „Das Lied ist älter als ich.“
Kirche gilt bei vielen Jugendlichen als uncool. „Sie sprechen nicht unsere Sprache“, sagt Johannes Falk, Sänger und einer der Stars der aktuellen Jugendkultur. Auch ihn hat die Synode eingeladen. „Kirche ist nicht schlecht, aber langweilig. Und zu straff und hierarchisch.“ Diesen Gedanken hört man immer wieder raus, als am Sonntagabend eine Handvoll der jungen Gäste auf der Bühne über Kirche und Glauben diskutieren.
Die EKD weiß das. „Wir müssen dringend etwas tun“, sagt Irmgard Schwaetzer, 76, Vorsitzende („Präses“) der Synode. „Die Jugendlichen leben heute gut ohne die Kirche“, hatte zuvor Gerhard Wegner berichtet, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD. Wegner spricht von einer „postchristlichen“ Generation. „Wir glauben immer, wir hätten Antworten für die Fragen dieser jungen Menschen“, erklärt der Forscher, „aber die aktuellen Jugendlichen haben keine Fragen an uns“.
Ist der Zug also schon abgefahren? „Nein“, ist Wegner überzeugt. „Die Kirche muss wieder stärker aufzeigen, wo und wie der christliche Glaube wichtig für das Leben des Einzelnen ist.“ Lange Zeit habe die Kirche sich darauf konzen­triert, ihr gesellschaftliches Engagement herauszustellen. Das sei gut und richtig, so Wegner. Aber dabei sei oft der Bezug zum persönlichen, individuellen Leben vernachlässigt worden. Diesen Zusammenhang zwischen Evangelium und eigenem Leben müsse die Kirche wieder stärker aufzeigen und vorleben. Dann habe sie auch bei der Jugend wieder eine Chance, so der Forscher.
Weitere Themen der Synode sind der digitale Wandel und dessen Konsequenzen für die Kirche sowie der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der evangelischen Kirche.
Der EKD-Ratsvorsitzende, der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, bat Opfer von Missbrauch um Vergebung und versprach weitere Aufklärung. „Wir müssen weitere Konsequenzen ziehen, noch intensiver an Präventionskonzepten und zielgenauer Aufarbeitung arbeiten“, sagte er und forderte „Null-Toleranz gegenüber Tätern und Mitwissern“.
In einem Grußwort hatte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) zuvor die evangelische Kirche dazu aufgefordert, in Fällen sexuellen Missbrauchs disziplinarrechtliche Konsequenzen zu ziehen und eine Strafverfolgung zu unterstützen. „Menschen, die Kinder missbrauchen und sie damit für ihr Leben schädigen, haben in keinem Amt der Kirche mehr etwas zu suchen“, sagte sie.
Die Tagung stand auch im Zeichen historischer Gedenktage. Nach einem gemeinsamen Gedenken am Donnerstagabend mit der jüdischen Gemeinde in Würzburg zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November erinnerte Bedford-Strohm am Sonntag im Gottesdienst an den 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs.
Dabei sagte er, „oft genug“ habe die Kirche in der Geschichte ihren eigentlichen Auftrag verraten. Viel zu viele in Kirche und Theologie hätten im Ersten Weltkrieg „in den nationalistischen Taumel eingestimmt“, hätten Waffen gesegnet, die zu Millionen Toten geführt hätten, sagte Bedford-Strohm.
Der Synode der EKD gehören 120 gewählte und berufene Mitglieder aus Kirche, Politik und Gesellschaft an. Sie kommt in der Regel einmal im Jahr zusammen, um über aktuelle Themen zu beraten und Gesetze zu beschließen. Die Synode beschließt außerdem den Haushalt der EKD.

(Weitere Ergebnisse von der EKD-Synode in der nächsten UK)