Monatelang beteten Menschen in der Berliner Gethsemanekirche für die Freilassung des Menschenrechtlers Peter Steudtner. Das gab ihm Kraft. Die Freude ist groß, dass er zurück ist. Und die Fürbittengebete gehen weiter.War das nicht eine unglaubliche Glückswelle, die uns überrollte? Die Gefangenen aus der Türkei waren plötzlich frei, nicht nur Peter Steudtner, sondern auch fast alle aus der Gruppe „Istanbul 10“, bis auf Taner Kilic, den Vorsitzenden von Amnesty International in der Türkei. Sie durften nach dem ersten Verhandlungstag ihres Prozesses sofort ausreisen, ohne Auflagen. Hätte jemand damit gerechnet?
Noch zum vergangenen Wochenende war Peter Steudtner in aller Munde und in allen Schlagzeilen. Jetzt ist es die Air Berlin, bald wird es wieder etwas anderes sein. Das Medieninteresse ist kurzlebig. Umso erstaunlicher, dass in den Monaten, in denen Peter Steudtner, Ali Gharavi, um nur einmal die Berliner unter den zehn Gefangenen in der Türkei zu nennen, die Presse tatsächlich durchgehend Interesse zeigte. Für mich war das ein sehr beeindruckendes Erlebnis bei den täglichen von der Gemeinde getragenen Gebeten in der Gethsemanekirche im Prenzlauer Berg: Christen beteten und sangen immer wieder „wachet und betet“, Atheisten kamen in die Kirche, Politiker und Vertreter unserer Kirche sprachen von der Kanzel, Musiker organisierten Konzerte. Auf dem Breitscheidplatz baute Amnesty International eine eindrucksvolle Lichtinstallation, das Bildungszentrum „Kurve Wustrow“ organisierte Petitionen und Briefe an die Gefangenen. Und die Presse hielt aufmerksam und behutsam bei allem Schritt. Das alles zusammen hat deutlich politischen Druck aufgebaut. Der protestantische Geist bestärkt und trägt uns. Als die sieben Menschenrechtsverteiger*innen freikamen, gab es wohl niemanden, dem das nicht zu Herzen ging. Irgendwann wird Peter Steudtner an die Öffentlichkeit treten, aber dann weniger wegen seiner Person, als für die Sache, die er vertritt. Und die ist nach wie vor brisant. Noch sind die Journalisten Deniz Yüzel, Mesale Tolu Corlu, ihr Mann und Taner Kilic in der Türkei in Haft. Was man ihnen vorwirft, ist ebenso skurril und absurd wie das, was „Istanbul 10“ vorgeworfen wurde. Weitere Deutsche sind in türkischer Haft, Amnesty spricht von 169. Die Zahl der türkischen unter hanebüchenen Vorwürfen Verhafteten steigt in die Tausende.Wir alle sind seit Anfang Juli, als die Gruppe mit Peter Steudtner verhaftet wurde, sensibilisiert für das Thema Menschenrechte. In der Gethsemanekirche gehen die täglichen Gebete um 18 Uhr weiter. Hoffentlich bleibt die Presse und die Öffentlichkeit interessiert und wach für die in der Türkei zu Unrecht Gefangenen.Wir alle können dafür sorgen, dass das so sein wird. Um 18 Uhr läuten wohl überall die Glocken in den Kirchtürmen. Die Glocken riefen einmal die Menschen, den Feierabend zu beginnen und mit einem Gebet den Tag zu bedenken. Die Zeiten haben sich geändert. Die Glocken können einen neuen Sinn bekommen. Wenn wir sie abends um 18 Uhr hören, dann sollen unsere Gedanken und Gebete an die zu Unrecht Gefangenen, vor allem in der Türkei, gerichtet sein. Vielleicht etabliert sich überall in unseren Gemeinden ein politisches Friedensgebet. Peter Steudtner hat uns aus der Haft wissen lassen, dass er in Gedanken um 18 Uhr bei den Gebeten in der Gethsemanekirche war. Er hat die Lieder mit gesungen, die seine Mithäftlinge dann auch schon kannten und mitsangen. Es gibt Kraft, wenn alle zu einem gemeinsamen Zeitpunkt darum beten, dass die Menschenrechte eingehalten werden. Menschen, die in der DDR im Stasi-Gefängnis saßen, erzählen, wie aufbauend und kraftspendend es war, wenn sie wussten, dass draußen Menschen für sie gebetet haben.Paulus schrieb: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet“ (Rö 12,12). Wir haben in den vergangenen vier Monaten gemerkt, dass dieser Rat des Apostels tatsächlich etwas bewirkt. An erster Stelle steht: „Seid fröhlich!“ Das haben wir uns am Tag der Freilassung nicht extra sagen lassen müssen. „Seid fröhlich!“ Für uns ist das doch eine Aufforderung, weiter für die Gefangenen zu beten und sich miteinander auszutauschen. Fröhlichkeit regt die Phantasie an und bringt uns zum Handeln.[lt]