Ob für geflüchtete Kinder, pflegende Angehörige oder Obdachlose: Ein Verein macht bundesweit Yoga-Angebote für Menschen in Not. In einer Gruppe für Menschen mit Behinderung sorgt das für überraschende Erfolgserlebnisse.
Ein junger Mann hängt Wäsche auf, ein anderer schneidet Papier in Schnipsel, eine Frau hört Musik an einem Tablet. In der Tagesförderung Schiffbeker Weg, einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung in Hamburg, herrscht an diesem Vormittag buntes Treiben. In einem Nebenraum sitzt Klaus an einem Tisch und beobachtet durch ein großes Fenster den Verkehr auf der Straße. Nimmt er auch gleich am Yoga teil? “Ja, muss ich ja, aber ich find das doof”, sagt er trocken und lacht.
In der Einrichtung gibt es seit vergangenem Jahr eine wöchentliche Yoga-Stunde – speziell für Menschen mit Behinderung. Bis zu zehn Klienten machen mit und versuchen sich an den aus Indien stammenden körperlichen Übungen, Atemtechniken und Meditationspraktiken.
Klaus nimmt auf einem der Stühle Platz, die eine Mitarbeiterin zuvor im Halbkreis aufgestellt hat. Er und alle Teilnehmer kommen freiwillig, wie die Verantwortlichen betonen. Bald darauf setzen sich auch Asmaa und Birgit sowie zwei Betreuerinnen in die Runde. “Hallo Yogis”, ruft Yogalehrerin Steffi Merker, als sie den Raum betritt. Asmaa stürmt auf sie zu und umarmt sie.
Merker stellt eine Klangschale in die Mitte des Halbkreises und schlägt sie an. “Lausche dem Klang und nimm wahr, wie er sich entfaltet”, sagt sie. Asmaa rutscht auf ihrem Stuhl hin und her, Klaus muss lachen und bald darauf fängt auch Birgit an zu kichern. Merker wiederholt die Übung noch zwei Mal.
Das Angebot ist Teil eines bundesweiten Programms des Hamburger Vereins “Yoga für alle”. Er möchte Bedürftigen ermöglichen, die Entspannungstechnik zu erlernen. Cornelia Brammen gründete ihn 2014 in Hamburg. Sie habe in einer schwierigen Lebenssituation durch Yoga neue Kraft gefunden, erzählt sie. “Diese Erfahrung möchte ich gerne weitergeben an Menschen in Not.”
Das Programm “Yoga hilft” begann mit einer Gruppe für Menschen mit Depressionen. Heute gibt es in ganz Deutschland 81 Gruppen – etwa auch für geflüchtete Kinder, pflegende Angehörige, Obdachlose oder Menschen in Altersarmut. Der Verein kooperiert dabei mit 55 staatlichen und sozialen Einrichtungen. Finanziert werden die kostenlosen Angebote unter anderem durch öffentliche Zuwendungen und durch Spenden.
Die Stunde in der Hamburger Tagesförderung ist speziell an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung angepasst. Die Teilnehmer tragen Alltagskleidung und sitzen auf Stühlen. Für die relativ kleine Birgit gibt es ein Podest, auf dem sie ihre Füße abstellen kann. Und statt bekannter Yoga-Figuren wie dem “Sonnengruß” oder dem “Herabschauenden Hund” gibt es Übungen, die an Bewegungen aus dem Alltag erinnern.
So fordert Merker die Teilnehmer auf, ihre Arme nach oben zu strecken. Erst den rechten, dann den linken und schließlich beide. “Guck mal, ob du da oben vielleicht Kirschen oder Äpfel findest.” – “Ich finde Erdbeeren”, ruft Asmaa. “Ich glaube, Erdbeeren sind weiter unten”, sagt Merker. Asmaa stimmt ihr zu, und alle müssen lachen.
Plötzlich legt sich Asmaa auf den Boden und macht laute Schnarch-Geräusche. “Ich glaub’, da ist jemand ganz müde”, sagt Merker. “Das macht nichts. Wenn du da unten bleiben möchtest, dann bleibst du da unten. Aber nicht so laut schnarchen.”
Wie schafft es Merker, trotz solcher Ablenkungen ruhig zu bleiben? “Ich weiß es nicht. Es gelingt mir einfach”, sagt sie später im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). “Da denke ich gar nicht drüber nach.”
Die Lehrerin übernahm die Gruppe im Juni vergangenen Jahres – und möchte sie nicht mehr missen. “Die Menschen sind so authentisch. Es gibt keinen, der nicht sich selbst sein mag.” Seit Beginn des Angebots sei viel passiert. “Dass sich im Laufe der Stunde eine gewisse Ruhe einstellt, ist ein riesiger Erfolg.”
Und tatsächlich werden die Teilnehmer allmählich konzentrierter. Klaus ist trotz seiner anfänglichen Ablehnung ganz bei der Sache und lässt keine Übung aus. “Ich werde ganz müde”, sagt er irgendwann.
Auch die Leiterin der Tagesförderung, Stefanie Schmidt-Egge, wertet das Angebot als Erfolg: “Die Leute sind entspannter, konzentrierter und beweglicher”, berichtet sie. “Klienten mit Gedächtnis-Probleme können sich trotzdem an die Übungen erinnern. Leute mit Schwierigkeiten, ihre Arme zu heben, schaffen das nach der Yoga-Stunde plötzlich.” Und wie hat es Klaus heute gefallen? Er zuckt mit den Schultern. “Es geht so”, meint er und lacht.