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Wie wir das Monster füttern

Wie dunkel kann Deutschland wieder werden? Beim Blick zurück zeigen sich beunruhigende Parallelen. Was wir tun müssen, damit 2020 nicht zu einem neuen 1930 wird.

Vor 75 Jahren befreite die Rote Armee das KZ Auschwitz. Die Massenvernichtungs-Fabrik gilt bis heute als Inbegriff des Bösen. Von „Befreiung“ sprechen die Deutschen spätestens seit 1985 (Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker) auch, wenn es um das Ende der Nazi-Herrschaft insgesamt geht. Das weckt Bilder, als ob Deutschland von einem Dämon befallen gewesen wäre. Mit Hilfe der Alliierten habe dieser Dämon besiegt und in den folgenden Jahrzehnten bis auf einige hartnäckige Überreste ausgetrieben werden können.

So sind wir aufgewachsen. Wer im Nachkriegsdeutschland geboren wurde und ordentlich erzogen, wuchs im Bewusstsein auf von Schuld, Scham und Verantwortung. All die Warnungen à la „fruchtbar noch / der Schoß, aus dem dies kroch“ waren ehrenwert und richtig, irgendwann vielleicht auch ein bisschen abgenutzt. Aber dass so etwas wie der Nationalsozialismus noch einmal passieren könnte, tatsächlich und einem selbst und zu eigenen Lebzeiten – das war uns Nachgeborenen schlicht unvorstellbar.

Bislang. Aber allmählich kann einem mulmig werden.
Als in den vergangenen sechs Jahren erst Pegida, dann die AfD entstand, erschien das dem Großteil der Gesellschaft unanständig und unappetitlich. Aber noch nicht bedrohlich. Man war empört, aber noch nicht wirklich alarmiert. Jede Gesellschaft hat ihre fünf bis acht Prozent rassistisch-völkisch Verblendeten, sagen die Soziologen. Und auch wenn sich um diesen harten Kern von Unbelehrbaren dann noch einmal ein paar Hunderttausend Wut- und Hassbürger sammeln – die sind doch keine echten Nazis… glaubte man.

Sondern Irrläufer, die – zum Teil aus sogar nachvollziehbaren Gründen – gegen „die da oben“ wettern und schlicht einer falschen Alternative für das Land auf den Leim gehen. Die können eine Gesellschaft doch nicht umdrehen.
So wiegten wir uns in Sicherheit. Dass diese Sicherheit aber vollkommen falsch sein könnte, zeigt sich beim Blick zurück.

Wie war das denn, damals in den 1930er Jahren? Hitler kam nicht an die Macht, weil alle Deutschen gleich fertige Nazis gewesen wären. Sondern weil die meisten von ihnen wegschauten. Und später Beifall klatschten (Arbeit, Autobahnen, Auferstehen in nationaler Stärke). Weil sie nach verlorenem Krieg und Wirtschaftskrise Gründe hatten, unzufrieden und verängstigt zu sein. Weil sie einen vermeintlichen Sündenbock geliefert bekamen. Und weil sie es schlicht nicht wahrhaben konnten oder wollten, was für ein Monster sie damit fütterten und heranwachsen ließen.

Und das ist womöglich auch heute wieder ähnlich: Man interessiert sich nicht wirklich, denkt Dinge nicht zu Ende, lässt aus Bequemlichkeit und Trägheit den Mob laufen, „ach, so schlimm wird’s schon nicht wieder werden“. Hier gilt es zu widerstehen. Hier gilt es, „Stopp!“ zu rufen. Diesmal früh genug.

Denn am Ende ist es egal, ob man „echter Nazi“ war oder einfach nur weggesehen hat: Wer sich dem Bösen nicht entgegenstellt, macht sich mitschuldig.