Die Bundesregierung will Deutschland für ausländische Fachkräfte attraktiver machen. Vor allem die Gesundheitsberufe leiden unter Personalnot. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sind nach Brasilien gereist, um dort unter anderem um Pflegekräfte zu werben.
Schon jetzt ist der Arbeitsmarkt in der Pflege leer gefegt. Auf 100 gemeldete Stellen für Fachkräfte in der Pflege kommen nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit lediglich 33 Arbeitslose, hieß es Mitte Mai. Die Krankenkasse Barmer hat ausrechnen lassen, dass in Deutschland bis 2030 mehr als 180.000 Pflegekräfte allein in der Altenpflege fehlen werden. Schon jetzt ist klar, dass in den nächsten zehn bis zwölf Jahren 500.000 Pflegefachkräfte in Rente gehen.
Hohe Hürden
Ohne Kräfte aus EU-Staaten, dem Balkan oder den Philippinen würde die Pflege in Krankenhäusern, Heimen und ambulanten Diensten wohl bereits zusammenbrechen. Die Bundesagentur beziffert die Zahl der ausländischen Pflegekräfte auf 244.000. Ihr Anteil hat sich von acht Prozent 2017 auf 14 Prozent 2022 nahezu verdoppelt.
Doch die Hürden, in Deutschland zu arbeiten, sind hoch. Sprachkenntnisse müssen nachgewiesen und Qualifikationen anerkannt werden. Visaanträge und Berufsanerkennungsverfahren benötigen zu viel Zeit – zu viel. “Im deutschen Vorschriften-Dschungel verlieren wir immer noch viele gut qualifizierte Menschen, die wir auf unserem Arbeitsmarkt gebraucht hätten”, schreiben auch Baerbock und Heil in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. “Warum sollte eine brasilianische Krankenpflegerin monatelang auf deutsche Behörden warten, wenn der Weg nach Portugal, Kanada oder in die USA viel unkomplizierter ist?”
Zwar hat Deutschland die hohen Hürden für die Arbeitsaufnahme für die Westbalkanstaaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, den Kosovo, die Republik Nordmazedonien, Montenegro und Serbien bis Ende 2023 erheblich gesenkt. Und seit genau zehn Jahren gibt es das Programm “Triple Win”, mit dem die Bundesagentur und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) Pflegefachkräfte aus den Philippinen, Tunesien, Indonesien, Indien und Jordanien, aber auch aus Vietnam anwerben – mittlerweile 19.000 Personen.
“Dreifacher Gewinn” so heißt das Programm übersetzt. Es soll angeblich Vorteile für alle drei beteiligten Parteien bringen, für Deutschland, die Fachkräfte und ihre Herkunftsländer. Doch so manche angeworbene Pflegekraft will schnell wieder nach Hause – aus Heimweh, aus Frust über Arbeitsbedingungen und fehlende Integration oder aus Enttäuschung über die Arbeitsmöglichkeiten.
“Hand und Herz gewinnen”
Baerbock und Heil sind sich sicher: “Wenn wir Menschen dauerhaft für Deutschland begeistern wollen, dann müssen wir ihnen die Hand reichen und ihre Herzen gewinnen.” Deshalb müssten auch die Familien von Fachkräften nachziehen können.
Den Finger in die Wunde legt auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Vorstand Eugen Brysch sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur(KNA), Heil und Baerbock verkennten die großen Herausforderungen bei der Integration. Am hohen Sprachniveau der Pflegekräfte dürfe wegen der Sicherheit für Patienten und Pflegebedürftige nicht gerüttelt werden. Auch litten angeworbene Mitarbeiter oft daran, dass ihre Fachkompetenz in Deutschland viel geringer geschätzt werde als im Heimatland.
Unbezahlte Überstunden, häufige Putzdienste
Nach einer 2019 veröffentlichten Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung müssen die Migranten in den Pflegeberufen unter noch schwierigeren Bedingungen arbeiten als ihre deutschen Kollegen: Sie machen mehr unbezahlte Überstunden und müssen häufiger Putzdienste verrichten. Pflegekräfte, die erkennbar aus Osteuropa stammen, würden besonders häufig von Heimbewohnern und deren Angehörigen kritisiert, ausländerfeindlich beschimpft oder sogar körperlich angegriffen.
Brysch forderte, die Probleme der Pflege vor allem innerhalb Deutschlands zu lösen. Die im Jahr 2022 außerhalb der EU gewonnenen 656 ausländischen Pflegekräfte seien angesichts des hohen Bedarfs allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein.