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Wie lebendig!

Es sollte etwas ganz Besonderes sein: Einmal „Karpfen blau“ zu Weihnachten. Meine Mutter stand in der Küche und bemühte sich, das Tier genau nach Kochbuch zuzubereiten (… „die Schleimschicht auf der Haut nicht abwaschen …“); die angereiste Großtante gab aufgeregt Tipps. Dann, nach viel Schweiß und Mühe, der große Moment: Auf dem festlich gedeckten Tisch wurde die Platte mit dem Fisch platziert; so, wie es die Tradition will, auf eine Tasse gestülpt, damit er möglichst lebensecht rüberkommt. Und so glotzte der Karpfen aus trüben Augen in den Heiligen Abend.
Das aber war zu viel für meine Schwester, die große Tierliebhaberin im Haus. „Das kann ich doch nicht essen!“, brach es aus ihr heraus. „Der sieht ja aus, als wäre er lebendig!“
Von da an war das Weihnachtsessen nur noch eingeschränkt fröhlich. Einige Familienmitglieder schlossen sich meiner Schwester an; die übrigen, nicht ganz so Sensiblen, würgten ihre Portion schnell herunter. Fazit: Karpfen gab es nie mehr bei uns…
Annika Best