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Wie Jugendliche den Israel-Palästina-Konflikt sehen

„Wir möchten mit euch heute über Krieg sprechen.“ Der jüdische Sozialunternehmer Shai Hoffmann und die palästinensische Menschenrechtsaktivistin Jouanna Hassoun machen gleich deutlich, dass ihr Trialog keine Gute-Laune-Veranstaltung ist. Zwei Klassen der Gesamtschule Fockbek (Kreis Rendsburg-Eckernförde) nehmen an diesem Tag teil. Es geht um ein ernstes Thema: den Krieg zwischen der radikal-islamischen Hamas und Israel sowie um Emotionen, die die Schüler zum Nahostkonflikt empfinden. „Ihr dürft in diesem Raum alles sagen“, sagt Hassoun und breitet ihre Arme aus. „Eure Lehrer sind heute nur stille Beobachter.“

Hassoun und Hoffmann haben vor einigen Jahren gemeinsam die „Israel Palästina Bildungsvideos“ ins Leben gerufen. Für ihr Engagement wurden beide 2024 als Botschafter/-innen für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet. Das Schul-Gesprächsformat Trialog ist ihr jüngstes bundesweites Projekt, das als Reaktion auf die Gewalteskalation am 7. Oktober 2023 entstanden ist.

Bevor der Austausch beginnt, fragt Hassoun: „Ist jemand unter uns, deren Angehörige vom Krieg direkt betroffen sind?“ Keiner der Schüler meldet sich. „Oder wer von euch fühlt sich betroffen?“ Daraufhin schnellen viele Hände in die Höhe. Die meisten Teilnehmenden haben selbst Migrationshintergrund. Wobei die Initiatoren lieber von einem „Migrationsvordergrund“ sprechen, um zu verdeutlichen, wie prägend die Zuwanderungsgeschichte der eigenen Familie meist ist. Die Wortmeldung eines Schülers unterstreicht das: „Ich komme aus dem Gebiet der Golanhöhen, was früher Syrien war. Meine Heimat gehört jetzt aber Israel“, sagt er.

Vielen Begriffen, die die Teenager in einer Schnellfragerunde zu Israel und Palästina nennen, könnte ein eigenes Seminar gewidmet werden. Darunter: „Völkermord“, „Unschuldige“, „Hass“, „Terror“ und „Vertreibung“. Aber Hoffmann und Hassoun möchten den Schülern keinen Vortrag halten. Sie wollen ihnen zuhören und erfahren, was ihnen durch den Kopf geht, um die Gedanken in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Einen Kontext, in dem vieles gleichzeitig wahr ist. Die Staatsgründung Israels 1948 bedeutete für Juden eine Erlösung, für Millionen Palästinenser jedoch die Nakba, die „große Katastrophe“, erklärt der Hoffmann.

Eine deutsch-syrische Schülerin sagt, sie fühle sich den Palästinensern nahe, „wegen der ganzen schlimmen Bilder toter Kinder in Gaza“. Sie sei auch deshalb schockiert, weil so etwas in Deutschland nicht zu sehen sei. Doch irgendwann seien die Bilder wieder vergessen. „Ist es gut, das zu vergessen?“, fragt Hoffmann. „Ja, aber irgendwie auch nicht“, antwortet die Schülerin nachdenklich. „Das ist ein ganz normaler Schutzmechanismus“, erklärt der Sozialunternehmer. „Danke, dass du das mit uns geteilt hast.“ Jedes Mal, wenn einer der Schüler etwas beiträgt, bedankt er sich. Es erfordere schließlich eine Menge Mut, seinen Schmerz zu teilen.

Eines wird deutlich, ein Großteil der Schülerinnen und Schüler ist von ihrer Schule enttäuscht, weil im Unterricht ihrer Ansicht nach viel häufiger und intensiver über den Ukrainekrieg gesprochen werde als im Vergleich über Gaza und Israel. Der 7. Oktober und der spätere Gaza-Krieg seien aber nicht missachtet worden, merken andere an: „Unsere Klassenlehrerin hat doch nach den Herbstferien mit uns darüber diskutiert“, wirft ein Schüler ein. „Ja, aber wenn, dann wurde Israel immer als das absolut Gute und die Hamas als das absolut Böse dargestellt“, entgegnet einer der Neuntklässler.

An dieser Stelle greift Hoffmann ein und fragt: „Habt ihr eine Idee, warum das so sein könnte?“ Der 43-Jährige stellt klar, „dass es einen Grund gibt, weshalb in Deutschland anders über Israel gesprochen wird“. Die Verbrechen der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg und den Holocaust. Seine Großeltern seien beide in Konzentrationslagern interniert gewesen. In der Aula entsteht daraufhin eine erdrückende Stille.

Die beiden Kursleiter spüren, dass den Schülern Fragen unter den Nägeln brennen. „Stimmt es, dass Juden in Deutschland keine Steuern zahlen müssen?“, fragt ein Zehntklässler. „Natürlich zahle ich ganz normal meine Steuern“, antwortet Hoffmann ruhig. „Und würden Sie es schlimm finden, wenn man Sie Jahudi nennt?“, hakt der Schüler nach. „Ja, das ist diskriminierend. Ich bin Shai Hoffmann – und ich bin mehr als nur Jude.“

Ein 16-jähriger Deutsch-Syrer resümiert zum Ende des Trialogs: „Ich bin voll überrascht, dass ein Jude und eine Palästinenserin miteinander reden können.“ Sein Klassenkamerad ergänzt: „Ich habe vorher gedacht, ihr streitet euch jetzt durchgehend – aber ihr wart beide echt neutral.“ Das seien sie beide nicht, sagt die Menschenrechtsaktivistin. Zwischen Neutralität und differenziertem Denken bestehe ein erheblicher Unterschied. „Uns geht es um Menschlichkeit“, erklärt Hassoun. Jungen Menschen in Deutschland zu zeigen, dass es zwei Seiten im Nahostkonflikt gibt – wie ein Schüler bemerkt: „Zwei Seiten einer Medaille.“