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Wie im richtigen Leben

Angefangen hat alles mit kleinen Geschichten aus dem Vikariat – bis Nico Ballmann merkte: Das interessiert die Leute. Heute bietet er theologische Talks und Andachten im Internet an.

Er gehört zu den Pionieren der digitalen Kirche. Nico Ballmann, 32 Jahre alt und evangelischer Pfarrer in Köln-Bickendorf. Das Besondere: Neben seiner Arbeit in der Gemeinde ist er im Internet in sozialen Netzwerken unterwegs. Und das offiziell, mit einem Viertel seiner Arbeitszeit.

Wer ihm auf den einschlägigen Kanälen im Netz folgt, merkt bald, dass er auf Instagram besonders aktiv ist. „Einschpunk“ nennt er sich dort, und er schmunzelt, wenn er erzählt, wie es zu diesem Pseudonym kam: „Das ist aus einer Laune heraus entstanden. In einer der wunderbaren Geschichten von Astrid Lindgren erfindet Pippi Langstrumpf das Phantasiewort Spunk. Niemand weiß genau, was das ist, aber es führt zu einer Reihe von Abenteuern.“ Und so hat Nico Ballmann sich mit „Ein­schpunk“ einem Namen gemacht, mit mittlerweile fast 4000 Followerinnen und Followern auf seinem Instagram-Kanal.

Mit „Einschpunk“ auf Abenteuersuche

Vor knapp drei Jahren hat er die sozialen Medien für sich entdeckt. Da war er Vikar in der Evangelischen Kirchengemeinde Rheydt: „Ich habe online einfach von meiner Arbeit erzählt, und plötzlich sind mir Leute gefolgt. Sie fanden das interessant.“ Und genauso macht er es im Prinzip bis heute.

In seinen „Stories“ berichtet er etwa nachdenklich von einer Beerdigung oder einem Trauergespräch. Natürlich ohne die Namen der Betroffenen zu nennen. Er strahlt nach einer fröhlichen Taufe in die Kamera oder zeigt, wie er verzweifelt mit der Technik bei einem Online-Gottesdienst kämpft. Wie im richtigen Leben. Nur dass es nicht bloß ein paar Dutzend Menschen in Köln mitbekommen, sondern Tausende im weltweiten Netz.

Manchmal schreibt er auch längere Texte. Zuletzt über seine Wut, wenn Menschen sich wegen ihres Lebensstils, ihrer Herkunft oder ihrer sexuellen Ausrichtung aus christlichen Gemeinschaften ausgeschlossen fühlen. Da findet er deutliche Worte: „Ich bin wütend, sauer, enttäuscht und schäme mich, dass ich Vertreter einer Glaubensgemeinschaft bin, in der so etwas immer wieder passiert. Das ist nicht mein Glaube. Mein Gott ist zu den Menschen gegangen, die anders waren und hat sich um die gekümmert, die keiner wollte.“

Eine Kirche, in der Menschen sie selbst sind

Nico Ballmann wünscht sich, das spricht aus vielen seiner Posts, eine Kirche, „in der sich jede und jeder sicher fühlen kann. Weil Menschen dort sie selbst sein dürfen, als das, was sie sind: gerechtfertigt, geliebt und wunderbar geschaffen.“ Immer wieder erzählt er, wie sehr ein Auslandsjahr seinen Glauben geprägt hat. Gleich nach dem Abitur hat er auf den Philippinen Englisch unterrichtet und in sozialen Projekten mitgearbeitet.

Wer den jungen Pfarrer trifft, merkt dabei, dass er eher nachdenklich wirkt, belesen und mit einem feinen Humor. Doch er scheut sich nicht, seine Meinung zu sagen. Selbst wenn ihm das hier und da bitterböse Kommentare einbringt. „Einschpunk“ will sich nicht verstellen und zeigt sich im Netz deshalb genauso wie im sonstigen Leben. Wobei er sich nicht „gläsern“ macht und nicht jeden Aspekt seines Alltags preisgibt. Online ist er allerdings auch als Seelsorger ansprechbar, genauso wie in der Gemeinde. Er macht deutlich: „Ihr könnt euch bei mir melden, egal wer ihr seid oder woher ihr kommt.“

Und das wird rege in Anspruch genommen. Bei besonderer Vertraulichkeit auch über den Internetdienst „Tellonym“, bei dem die Anonymität von Ratsuchenden besonders geschützt wird.

Nico Ballmann ist es ein besonderes Anliegen, den christlichen Glauben immer wieder mit Themen des Alltags zu verknüpfen. Dafür hat er auf Instagram zwei eigene Formate entwickelt. Jeden Sonntagabend lädt er zum Beispiel einen Gast zu einem einstündigen Live-Talk ein. „Auf ein Glas Wein mit…“ nennt sich die Sendung zu theologischen Fragen. Da geht es mal um Moral, um den Teufel, Homosexualität oder Engel. Viele schauen zu und kommentieren die Gespräche in Echtzeit. Zudem bietet er regelmäßig den sogenannten „Instapuls“ an. „Dabei geht es vor allem darum, miteinander und füreinander zu beten“, so beschreibt er selbst diese kleine Online-Andacht.

Nico Ballmann sieht viele Parallelen zwischen der regulären Gemeindearbeit und seiner Tätigkeit im Netz. Ihm ist es auch wichtig, dass beides nicht gegeneinander ausgespielt wird. Einen Vorteil seiner Arbeit auf Instagram schätzt er jedoch sehr: „In den sozialen Medien gibt es keine Gremien“, erklärt er augenzwinkernd.

Kirchenkreis Köln-Nord finanziert Online-Arbeit

Er ist dankbar, dass ihm der Kirchenkreis Köln-Nord ermöglicht, seinen Kanal im Rahmen seiner Arbeitszeit „bespielen“ zu können. Solche Modelle sind in der evangelischen Kirche insgesamt noch nicht selbstverständlich, obwohl deutschlandweit immer mehr – vorwiegend junge – Pfarrerinnen und Pfarrer unter #digitaleKirche zu finden sind.

Die Schnelligkeit der Online-Medien ist für Ballmann Fluch und Segen zugleich: „Ich scheitere mit manchen Angeboten und muss dann immer wieder Neues ausprobieren. Das macht es aber auch sehr lebendig.“ Im Digitalen sind manche Trends schon nach Wochen oder Monaten veraltet. Da sei über die Zukunft der Kirche in zehn Jahren oder gar in 2060 gar nicht nachzudenken.