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Wie Betreuungsvereine erkrankten Menschen im Alltag helfen

Wer schwer krank ist, kann Behördengänge oft nur schwer bewältigen. Wenn Betroffene keine engen Vertrauenspersonen haben, können Betreuungsvereine helfen. Doch auch die geraten an Grenzen.

Ob Unfall oder Schlaganfall: Das Leben kann sich binnen weniger Sekunden ändern. Wenn wichtige Körperfunktionen geschädigt werden, haben Menschen manchmal Schwierigkeiten, eigene Entscheidungen zu treffen. Was also, wenn wir uns nicht mehr selbst kümmern können? Per Vorsorgevollmacht kann man sich absichern und festlegen, wer im Bedarfsfall rechtliche Angelegenheiten übernimmt – und wer es auf keinen Fall tun sollte.

Viele sind aber unvorbereitet. Im Dezember 2022 waren im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer weniger als 5,7 Millionen Vorsorgevollmachten registriert. Seit 1. Januar 2023 haben Ehepartner und eingetragene Lebenspartner zwar mehr Mitspracherecht: Im Akutfall dürfen sie Angehörige gesetzlich vertreten. Das aber ist nicht immer möglich, gerade im Alter sind Menschen oft einsam, haben keine nahen Angehörigen mehr.

Die Vorsorgevollmacht ist außerdem nicht bindend. Die ernannte Vertrauensperson kann auch ablehnen. “Nicht alle Angehörige trauen sich die Aufgaben zu”, sagt Gabriele Warner, Beraterin des Betreuungsvereins (BV) Hamburg Nord. “Manche Bevollmächtigte kommen auch erst später auf uns zu und sagen: Ich kann nicht mehr.” Dann bestimmt das Amtsgericht einen gesetzlichen Betreuer: Möglich sind professionelle Betreuer wie zum Beispiel Anwälte, aber auch Betreuungsvereine mit ehrenamtlichen Helfern. Der Betreute bleibt dabei weiterhin geschäftsfähig.

Der Prozess dauert manchmal mehrere Monate. “Für ein Betreuungsverfahren muss zunächst ein medizinisches Gutachten erstellt werden. Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein”, sagt Frank Dickmann, Anwalt für Pflegeversicherungsrecht in Einrichtungen bei der Solidaris in Köln.

Zusätzlich ist eine Anhörung des Betroffenen durch einen Richter nötig. Erst dann kann dieser eine gesetzliche Betreuung anordnen. Welche Aufgaben Betreuer übernehmen dürfen, ist stark eingeschränkt. “Das hängt von der Entscheidung des Amtsgerichts ab”, sagt Warner. “Zum Beispiel Gesundheitsangelegenheiten, Wohnungsangelegenheiten, Vermögensangelegenheiten, Vertretung vor Behörden oder gegenüber ambulanten Diensten.”

Ehrenamtliche Betreuer durchlaufen vor ihrem Einsatz ein Trainingsprogramm, das über Rechte und Pflichten aufklärt. Betreuer dürfen keine beliebigen Entscheidungen treffen. “Die Anordnung der Betreuung bedeutet keine Entmündigung des Betreuten”, sagt Frank Dickmann. “Dieser bleibt weiterhin geschäftsfähig.”

Laut Paragraf 1821 BGB müssen sich Betreuer außerdem so um die Angelegenheiten des Betreuten kümmern, “dass dieser im Rahmen seiner Möglichkeiten sein Leben nach seinen Wünschen gestalten kann”. Dass lässt sich manchmal nur schwer feststellen. Betreute können aus gesundheitlichen Gründen nicht immer Wünsche klar äußern. Gegenüber Angehörigen haben Betreuer außerdem keine Auskunftspflicht. Angehörige haben damit kein Mitspracherecht, welche Wünsche die Betreuten haben könnten.

Mitarbeiter des BV Hamburg Nord treffen Betreute in ihrer gewohnten Umgebung, um deren Bedürfnisse zu erkennen. “Wir raten unseren Mitarbeitern dazu, offene Fragen zu stellen, gut zuzuhören und dabei auch zwischen den Zeilen zu lesen”, sagt Warner. “Wenn wir nach der Lebensgeschichte der Betroffenen fragen, werden Bedürfnisse oft besser sichtbar.”

Der Bedarf nach Betreuern sei groß, sagt Warner: 2023 vermittelte allein der BV Hamburg Nord 18 Betreuungen. “Es hätten locker 30 sein können”, sagt Warner. “Dazu aber muss es auch passen.” Der Verein organisiere zu Beginn immer einen Kennenlerntermin. “Danach können beide entscheiden, ob sie matchen oder nicht”, sagt Warner. Bis Betreuer und Betreute zueinander finden, vergehen deshalb oft Wochen.

Pro Person ist durchgehend ein Betreuer zuständig. Warner sucht mit ehrenamtlichen Mitarbeitern zumindest bei kleinen Alltagsaufgaben oft nach Unterstützung bei Familienmitgliedern und Nachbarn, sagt sie. “Die helfen uns auch bei alltäglichen Aufgaben sehr. Selbst Heizung ablesen bei den Betreuten kann zur Masteraufgabe werden.” Das Zeitbudget sei gerade bei Ehrenamtlichen begrenzt: “Wir hoffen, mehr Mitarbeiter zu bekommen.”