Sonntagmorgen in der Sala Wesley in Vicenza in Oberitalien – das Schlagzeug steht gleich neben dem Altar und am Rednerpult eröffnet Pastor William Jourdan den Gottesdienst auf Italienisch und Englisch. Jourdan ist gebürtiger Italiener, Waldenserpfarrer und ein brillianter Prediger. Er begrüßt etwa 70 Gemeindemitglieder und deren Kinder – viele Ghanaer, wenige Norditaliener.
Heute ist ein besonderer Tag, denn etwa dreißig Gäste aus Deutschland nehmen am Gottesdienst teil. Sie wollen mehr erfahren über das Leben von Flüchtlingen und Zugewanderten in Italien und über das Programm „Gemeinsam Kirche sein“. Die Gemeinde trifft sich in einem angemieteten Saal in einem Industriegebiet am Stadtrand von Vicenza. Das hat gute Gründe. Schlagzeug, Orgel und Chorgesang – und das ganz laut – gehören zum Gottesdienst dazu. Das würde stören, in einer Kirche in der Innenstadt. Außerdem bietet das angemietete Gebäude viele Parkplätze und erleichtert daher den kinderreichen Familien ein Treffen am Sonntagmorgen.
Spendensammlung mit Musik und Tanz
Am Ende des Gottesdienstes wird die Kollekte eingesammelt. Jetzt wird es laut, denn ein fünfköpfiger Frauenchor begleitet von einem Quartett mit Schlagzeug, Orgel und Trommeln preist das großzügige Spenden. Euroscheine werden tanzend in den großen Spendenkorb nach vorne gebracht. Danach wird der Gottesdienstsaal umgebaut und ein üppiges warmes Mittagessen bildet den zweiten Teil des Tages. Man trifft sich, isst, spricht und lässt die Kinder spielend durch Saal und Flure rennen. Eine lebendige Gemeinde trifft sich da jeden Sonntag in der Sala Wesley.
In Italien sammelt die kleine evangelische Waldenserkirche bereits seit Anfang der 90er Jahre Erfahrungen mit Zuwanderung aus Asien und Afrika. Evangelische Christen aus Ghana, Togo, den Philippinen und anderen Ländern kommen in das katholische Italien und suchen ein neues kirchliches Zuhause in den protestantischen Waldensergemeinden auf Sizilien und in den Industriezentren von Turin, Mailand, Brescia und Vicenza in Norditalien.
Waldenser haben Jahrzehnte lange Erfahrungen mit einem Mix von Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen. Bereits 1975 entschlossen sie sich zu einer Kirchenunion mit den italienischen Methodisten – einer Kirche, mit der sie Vieles gemeinsam haben. Waldenser und Methodisten in Italien sind inzwischen eine Kirche, aber sie können gut ihre unterschiedlichen Identitäten bewahren.
Seit 20 Jahren kommen nun auch Menschen aus Afrika und Asien in die kleinen Gemeinden – nicht als Gäste, sondern als vollwertige Mitglieder – und bilden so eine gemeinsame Gemeinde. Das ist auch von der methodistischen Kirche in Ghana so ausdrücklich gewollt.
„Glauben Sie nicht, dass alles nur einfach ist“, lautet ein Ausspruch von Professor Paolo Naso, der als Politologe das Programm „Gemeinsam Kirche sein“ seit vielen Jahren kritisch begleitet. Nach einer ersten Phase des naiven Enthusiasmus folgte eine Zeit der Enttäuschungen. Viele kleine Waldensergemeinden erhofften sich durch die neuen, fremden Mitglieder einen schnellen Zuwachs der überalterten Gemeinden. Doch ohne Krisen und Konflikte lief die Annäherung nicht ab.
„Wir sind alle eins in Christus“, das sei das theologische Leitmotiv für die Offenheit der Waldenser gegenüber den Christen aus fernen Ländern von Anfang an gewesen. Betrachtet man die Gemeinden in den verschiedenen Orten genauer, so finde man allerdings viele unterschiedliche Gemeindeformen und auch schmerzhafte Trennungsprozesse. Neben reinen ethnischen Gemeinden, wo Ghanaer unter sich bleiben, ihre ethnische Sprache sprechen, gibt es verschiedene Mischformen. Beispielsweise die Gemeinde, die italienische Lieder und liturgische Elemente mit ghanaischer Spiritualität, Musik und Liturgie verbinde. Und in den Waldensertälern bei Turin gibt es nach wie vor die klassischen predigtzentrierten Gottesdienste vor einem Mittelschichtspublikum in italienischer Sprache. „Als ich nach Vicenza kam“, sagt Pastor Jourdan „gab es eine kleine Gruppe von Ghanaern, die unsere Kirche verließ. Sie wollten nicht mit uns zusammen sein. Das ist aber unser Anspruch, gemeinsam eine Kirche zu bilden.“
Afrikaner und Italiener lernen gemeinsam
Für die Gemeinden, die von der Herausforderung der Zuwanderung aus Afrika und Asien betroffen sind, gibt es seit zwei Jahren ein neues Trainings- und Lehrprogramm, organisiert von allen protestantischen Minderheitskirchen in Italien. Afrikanische Pastoren und Laien lernen gemeinsam mit italienischen Gemeindegliedern innerhalb von zwei Jahren interkulturelle, soziale und theologische Dimensionen des evangelischen Glaubens kennen und erhalten nach Abschluss des Kurses ein Zertifikat. Die Gemeinden vor Ort können dann selbst entscheiden, ob das auch den nicht-akademisch ausgebildeten Teilnehmern Predigt- und Gottesdiensttätigkeit ermöglicht. Vieles wird also noch ausprobiert auf dem langen Weg zu einer gemeinsamen, multikulturellen Gemeinde.
Thomas Krieger ist Europareferent im Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe) der Evangelischen Kirche von Westfalen in Dortmund und war kürzlich mit einer Gruppe aus Westfalen und dem Rheinland zu Besuch in Vicenza.