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„Weite wirkt“

Drei Tage lang feiert die evangelische Kirche die Reformation – mit Partnerkirchen aus der ganzen Welt. Ziel: „Glaubenshoffnung tanken“

Da, wo sonst Tennisturniere und Konzerte die Menschenmassen anziehen, feiert vom 6. bis 8. Mai die Kirche: Im Gerry-Weber-Stadion in Halle/Westfalen steigt dann das Festival „Weite wirkt – Reformation weltweit“. Gerd-Matthias Hoeffchen sprach mit Ulrich Möller, dem Ökumenedezernenten in der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Die Kirche feiert in Vorbereitung auf das Reformations-Jubiläum ein Festival: Weite wirkt. Was soll uns das sagen?
Die Reformation hat ja nicht nur in Deutschland stattgefunden, auch wenn das manchmal aus unserer Sicht so erscheinen mag. Dieser epochale Umbruch hatte seine Wurzeln in ganz Europa. Und er hat die gesamte Welt verändert. Deshalb steht 2016, das letzte Themenjahr vor dem eigentlichen Reformationsjubiläum 2017, unter dem Oberbegriff: Reformation und die Eine Welt. Der Blick darauf, wie sich der Protestantismus in anderen Ländern entwickelt hat und dort gelebt wird, kann uns helfen, voneinander zu lernen.

Was zum Beispiel?
Eine Grunderkenntnis der Reformation war, dass der Mensch nicht ständig ängstlich um sich selbst und sein eigenes Heil kreisen muss. Gott liebt mich – und deshalb kann ich diese Liebe hinaustragen in die Welt. Sie gilt allen Menschen.

Das war Ursprung und Antrieb der Missionsbewegung im 19. Jahrhundert …
Genau! Gott liebt die gesamte Welt – darum tragt diese Liebe bis an die Enden der Erde, so hieß es lange Zeit. Heute, in Deutschland und Europa, fällt es den Menschen schwer, Gottes Liebe überhaupt noch zu erkennen. Wir erleben hier Rückgang, Säkularisierung, eine allgemein frei wabernde Religiosität. Wenn wir allerdings den Blick weiten, über Europa hinausschauen, dann sehen wir: Die Kirche befindet sich in einer Phase, in der sie – weltweit gesehen – so stark wächst wie wohl noch nie zuvor in ihrer Geschichte. Und dann können wir plötzlich nur noch staunen, wenn Christinnen und Christen aus anderen Ländern uns besuchen und von ihrem wachsenden und blühenden Glauben berichten.

Früher haben Europas Christen das Evangelium in die Welt getragen – heute kommt es von dort zu uns zurück?
So erleben wir es zumindest in den Begegnungen mit den Geschwistern aus unseren Partnerkirchen weltweit. Die fragen uns natürlich: „Warum ist hier bei euch der Glaube so kraftlos? Und nicht so überschäumend wie bei uns? Ihr seid doch unser Ursprung.“ Ich denke, aus dieser Spannung können wir eine Menge lernen.

An wen richtet sich das Festival? Wer soll kommen?
Eingeladen ist jede und jeder. Interessant könnte es gerade auch für die sein, die auf der Suche sind. Die also irgendwie an der christlichen Botschaft interessiert sind, aber in der Kirche bislang noch keine Andockmöglichkeit gefunden haben, die zu ihnen passt. Das Festival bietet an drei Tagen ein wirklich großes Programm (siehe Info-Kasten). Da kann man vielem begegnen – und vielleicht ist etwas dabei, das etwas in mir zum Klingen bringt.

Sind so viele auf der Suche?
Ich glaube ja. Wir stehen als Gesellschaft immer noch am Anfang der Globalisierung. Die wirkt sich für jeden Einzelnen immer spürbarer aus. Vertrautes bricht weg. Sicherheiten und Gewissheiten geraten ins Wanken. Die Anforderung zur ständigen Veränderung wird zum Normalfall. Der Mensch reagiert mit Unsicherheit, er droht, das Grundvertrauen zu verlieren. Eine Folge davon ist eine klar erkennbare Tendenz zum Fundamentalismus.

Oder Rückzug ins Private.
Und genau da kann die Erkenntnis der Reformation wieder wichtig werden: Gott befreit mich vom ängstlichen Schauen auf mich selbst. Er befreit mich! Und das gibt mir die Kraft, diese Befreiung und diese Liebe an andere Menschen weiterzugeben.

Angesichts der Debatte um Flüchtlinge und Einwanderung ist ein umstrittenes Thema.
Wer sich auf den christlichen Glauben einlässt, kann darauf vertrauen: Gott hat alles in Händen. Auch die Verschiedenartigkeit, auch die Vielfalt. Gottes Liebe gilt allen. Jedem Einzelnen. Das Festival ist keine einsame Einzelveranstaltung. Es ist die Verdichtung, der Höhepunkt einer ganzen Reihe von Ereignissen und Veranstaltungen vor Ort, in den Kirchenkreisen und Gemeinden (siehe auch Hinweis auf Veranstaltungsheft im Internet am Ende des Artikels). Bei all diesen Begegnungen, bei allem miteinander Feiern und voneinander Lernen gibt es eine Riesenchance: Wir können Vielfalt als Gemeinschaft erleben, als Bereicherung. Nicht als Bedrohung. Gott hat Gutes mit uns vor.

Wenn die drei Tage des Festivals um sind – was soll dann dabei herausgekommen sein?
Wir können etwas mitnehmen in den Alltag. Kraft. Ermutigung. Die Erkenntnis: Weil Gott uns liebt und uns befreit, muss ich mich nicht von Angst getrieben sichern und abgrenzen. Ohne Probleme zu verharmlosen, kann ich in meinem Alltag im Horizont der Liebe Gottes für seine Welt Gestalt geben. An den aktuellen Integrationsherausforderungen angesichts der zu uns Geflüchteten wird das gerade beispielhaft deutlich.
Der Alltag ist das Mandat des Christen. Dort bewährt sich sein Glaube. Dafür tankt man im Gottesdienst auf. „Weite wirkt“ bietet eine ganz besondere Chance, Glaubenshoffnung zu tanken – in weltumspannender ökumenischer Gemeinschaft.
Das Weite-wirkt-Festival lädt dazu ein, gerade in den tiefgreifenden und krisenhaften Veränderungen unserer Welt heute zu entdecken: Als Christin, als Christ bin ich Teil eines weltumspannenden Netzwerkes der Hoffnung. Das weitet den Blick. Das führt aus der Enge in die Weite. Das wirkt.