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Warum Fasten mehr sein kann als eine “Challenge”

Fasten ist für viele Menschen eine Form der Selbstoptimierung. Das bedeutet damit eine Menge Arbeit. Dabei kann Verzicht auch erholsam sein – und zu einer Besinnung auf das Wesentliche beitragen.

“Wunderwaffen im Kampf gegen die Gifte” oder “Mein Ernährungsmarathon – meine Tipps”: In diesen Tagen und noch bis Ostern nutzen viele Menschen die Fastenzeit, um auf Dinge zu verzichten: keine Schokolade, kein Fleisch, kein Alkohol. Andere fahren statt mit dem Auto mit dem Fahrrad. Wieder andere schwören auf “Digital Detox” und legen ihr Smartphone bewusst beiseite. Fasten steht allerdings dabei oft kaum noch im Zusammenhang mit christlichen Gedanken – aus Selbstbesinnung wird Selbstoptimierung. Im Web finden sich zahllose Anleitungen zu 40 Tagen Fasten-“Challenges”. Muss das so sein?

“Verzicht ist heute für viele Menschen negativ besetzt – ein Grundfehler”, sagt Pfarrer Josef Mayer, Geistlicher Direktor der Katholischen Landvolkshochschule Petersberg bei Dachau. “Ihnen fehlt die Einsicht, dass weniger mehr sein kann. Weglassen kann Gewinn bedeuten.”

Mayer organisiert in der Fastenzeit am Petersberg jedes Jahr vor Ostern sogenannte Fastenwochen. Sieben Tage lang ernähren sich die Teilnehmenden nach der Heilfastenmethode Buchingers. Nahrung gibt es nur abends und morgens: Tee, Obst- und Pflanzensäfte. Tagsüber sollen Impulse wie Gebete, Vorträge und Spaziergänge zur Selbstreflexion anregen.

Fasten, so die Idee, reinigt damit nicht nur Magen und Darm. “Wir gestalten diese Woche als geistiges Fasten”, sagt Mayer. Für Teilnehmende sei das oft wie Urlaub. “Wenn ich diese Woche mal nicht die Medienberichte auf mich einprasseln spüre, dann ist das so eine Erleichterung”, sagt Mayer. “Eine Teilnehmerin sagte in dieser Woche: Was für einen wunderschönen Sonnenaufgang wir heute hatten.”

Reduktion, sagt Mayer, bedeute für ihn eine intensive Erfahrung, die sich kaum in Worten bringen lasse. “Beim Fasten komme ich mit meiner Seelenspitze in Berührung”, sagt er. “Fasten erweckt mein Bewusstsein.” Biblisches Fasten sei gleichzeitig eingebunden in ein größeres Ganzes: den Dreiklang aus Beten, Almosen und Fasten. “Im Fasten und der Besinnung spüre ich, dass ich Gottes geliebtes Kind bin.”

Christliches Fasten kann sich dabei auf den ersten Blick ganz ähnlicher Methoden bedienen wie das reine Verzichtfasten: ob Klimafasten oder Intervallfasten oder eine Zeit ohne Flüge zwecks Reisevergnügen. “Beim biblischen Fasten ist es nur wichtig, sich zunächst selbst und den eigenen Lebensstil zu überdenken”, sagt Mayer. “Fasten bedeutet einen Verzicht, der mich persönlich herausfordert.” Er rät dazu, die Zeit als Phase der Selbstwahrnehmung zu betrachten. “Dazu gehört es auch zu spüren, wenn beim Fasten etwas schiefgeht”, sagt der Experte. “Nur so ist Barmherzigkeit möglich.”

In einem weiteren Schritt bedeute Fasten, die eigene Umgebung bewusster wahrzunehmen. “Fasten bedeutet Heilung, eine Heilung von schlechter Ernährung und ungesundem Essen”, sagt Mayer. “Aber auch eine Heilung für besseres Zuhören und eine gesunde Gemeinschaft.”

Wie Menschen auch außerhalb einer Fastenwoche zu sich finden und das neue Bewusstsein in den Alltag integrieren können? “Am liebsten wäre mir, wenn auf der Welt mal für ein halbes Jahr alle Leitungen abgeschaltet würden”, sagt Mayer und lacht. “Dann würden wir aus dem Dilemma herauskommen.” Menschen müssten sich von dem Gedanken der Selbstoptimierung losmachen, sagt Mayer: “Das wäre eine Befreiung.”