Die Kirche als Schiff auf den Wogen der Welt, ein Kreuz als Mast und über allem in großen Lettern das Wort „OIKUMENE“. Es ist ein vielsagendes christliches Symbol, unter dem sich der Ökumenische Rat der Kirchen seit seiner Gründung im Jahr 1948 versammelt. Es erinnert an die Geschichte vom Fischzug des Petrus – und es weckt Assoziationen zur Stillung des Sturms auf dem See Genezareth.
Das konnten die Erfinder des Logos zwar noch nicht wissen, aber sturmfrei ging es in der nunmehr 70-jährigen Geschichte des Ökumenischen Rates der Kirchen nicht immer zu. Schon die Anfänge waren überschattet von einer weltgeschichtlichen Erschütterung. Bereits 1937/38 nämlich hatten Vertreter von mehr als 100 Kirchen beschlossen, einen solchen Bund zu gründen, der Krieg aber machte der Umsetzung einen Strich durch die Rechnung.
Am 23. August 1948 schließlich verpflichten sich in Amsterdam offiziell 147 Kirchen verschiedener Konfessionen und Länder zur ökumenischen Zusammenarbeit. Zu den Gründungsmitgliedern des ÖRK gehörte auch die neu gebildete Evangelische Kirche in Deutschland. Kein Zufall ist sicher die Entscheidung für Genf als Sitz des Rates, eine Stadt, die schon zahlreiche Organisationen der 1945 gegründeten Vereinten Nationen beherbergt.
Suche nach „sichtbarer Einheit“
Es ist ein hoffnungsvoller Aufbruch im Jahr 1948. Es geht darum, nach Krieg, Völkermord und millionenfachen Leiden und im Blick auf den sich abzeichnenden Ost-West-Konflikt die Christen zu versöhnen – unter einem Dach, nicht aber in einer Kirche, denn das wird 1950 in Toronto zweifelsfrei geklärt: Der ÖRK ist keine „Über-Kirche“ und darf auch niemals eine werden. Vielmehr versteht er sich, und das gilt bis heute, als ein Instrument der Zusammenarbeit und der gemeinschaftlichen Suche nach einer „sichtbaren Einheit“ in der Nachfolge Jesu. Auf diesem Grundgedanken basiert die Forderung nach Solidarität und gegenseitiger Unterstützung der Mitgliedskirchen.
Zusammenarbeit und Solidarität – beides funktioniert in der 70-jährigen Geschichte nicht immer reibungslos. Eine Tatsache, die angesichts der unterschiedlichen Traditionen, Interessen und theologischen Ausrichtungen der immerhin mittlerweile 348 Mitgliedskirchen niemanden wirklich verwundern dürfte.
Dennoch gehen auch zahlreiche positive Impulse, die Wirkung zeigen, vom ÖRK aus: Zum Beispiel die „Dekade der Kirchen in Solidarität mit den Frauen“ (1988-1998), die in zahlreichen Mitgliedskirchen – auch in der EKD – zu einer Neubewertung der Rolle der Frauen in der Kirche führt.
Innerkirchlich und außerkirchlich intensiv wahrgenommen wird 20 Jahre vorher das Programm gegen den weltweiten Rassismus, das der ÖRK auch unter dem Eindruck der Ermordung Martin Luther Kings startet. Ideelle und praktische Unterstützung von indigenen und rassisch oder ethnisch unterdrückten Gemeinschaften und Organisationen stehen im Mittelpunkt des Programm. Ganz besonders im Fokus: Südafrika.
Überhaupt sind seit der Vollversammlung in Neu-Delhi 1961, der ersten in einem Entwicklungsland, die Länder des Südens zunehmend ins Blickfeld gerückt. In den 1940er und 1950er Jahren vorwiegend protestantisch und westlich geprägt, verändern sich Profil und Identität des Weltkirchenrates in den 1960er Jahren deutlich. Den Ausschlag dazu gibt der Beitritt nicht nur orthodoxer Kirchen des Ostens, sondern auch soeben erst unabhängig gewordener Kirchen aus ehemaligen Kolonialgebieten des Südens.
Die Frage der Gerechtigkeit – auch der ökonomischen – wird immer wichtiger. Das führte letztlich in den so genannten „Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“, der die ökumenische Bewegung zwischen den Vollversammlungen 1983 in Vancouver (Kanada) und 1991 in Canberra (Australien) prägt. Es geht – politisch und theologisch – um die Vision einer gerechten, friedlichen und mit der Natur versöhnten Welt. Höhepunkt ist 1990 die ökumenische Weltversammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung im südkoreanischen Seoul, zu der auch der Vatikan eine Beobachterdelegation entsendet.
Freund und Unterstützer des Konziliaren Prozesses ist der evangelische Theologieprofessor Konrad Raiser, der 1993 als erster Deutscher zum Generalsekretär des Weltkirchenrates gewählt wird. Bis 2002 dauert seine Amtszeit. Darin hat der überzeugte Ökumeniker einige Krisen zu bewältigen.
Streit um Homosexualität und Frauenordination
Spannungen zwischen orthodoxen und protestantischen Kirchen bestimmen vor allem die Vollversammlung in Harare (Simbabwe). Streitthemen sind Frauenordination und Homosexualität. Dabei werden zwar schließlich Kompromisse gefunden und eine Spaltung des ÖRK vermieden, aber der Glaube an die visionäre Kraft der christlichen Gemeinschaft lässt nach. In einem Interview sagt ÖRK-Zentralausschuss-Mitglied Margot Käßmann 1998: „Zur Zeit denke ich manchmal, wir erleben 40 Jahre Wüstenwanderung“.
2002 tritt die Ökumene gänzlich auf der Stelle. Katholiken und Orthodoxe sehen sich selbst als die „wahre Kirche“. Das können Protestanten naturgemäß so nicht mittragen. 2002 tritt Margot Käßmann nach fast 20 Jahren Mitarbeit in einem spektakulären Akt aus dem Zentralausschuss aus.
Zu inhaltlichen Meinungsverschiedenheiten kommen im Laufe der Jahre durch die hohen Kosten in Genf und die Zahlungssäumigkeit von Mitgliedern auch finanzielle Schwierigkeiten. Nicht ganz schlecht sieht es zur Zeit allerdings im Verhältnis zur katholischen Kirche aus. Zwar wird sie auf keinen Fall dem ÖRK beitreten, aber immerhin: Im Jubiläumsjahr hat Papst Franziskus die nicht-katholischen Brüder und Schwestern in Genf besucht.
Und sonst? Stürmische See wie immer mal wieder in der Vergangenheit herrscht beim Weltkirchenrat aktuell nicht. Man könnte wohl eher von einer Flaute sprechen. Eine kräftige Brise, die das Schiff der Ökumene wieder in Fahrt bringen könnte, ist auch nicht in Sicht. Die weltweiten ökonomischen, sozialen und ökologischen Fragen müssen also weiterhin auf eine gemeinsame Antwort der Christenheit warten.