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Wanderin zwischen den Welten

Pfarrerin Anna Manon Schimmel bringt Gottes Segen zu besonderen Orten. Beliebt sind vor allem ihre Kneipengottesdienste.

Gottesdienste an anderen Orten sorgen immer wieder für Aufsehen. Manchmal wird in Bäckereien, Museen oder Kaufhäusern gepredigt und gebetet. In Witten etwa feiert die Martin-Luther-Kirchengemeinde regelmäßig Kneipengottesdienste. Genau das ist ein Format, an dem auch Anna Manon Schimmel Gefallen findet.

Anna Manon Schimmel ist Pfarrerin im badischen Neuried, direkt an der deutsch-französischen Grenze und betet auch schon mal in der Fußballkabine oder beim Junggesellenabschied. Gottesdienste in Kneipen haben es ihr allerdings besonders angetan.

Während ihres Studiums in Heidelberg hat sie unfreiwillig ihre ersten Erfahrungen damit gesammelt: „Ich erinnere mich noch genau“, erzählt sie im Gespräch mit UK: „Es war Faschingsdienstag. Ich habe mir den Umzug angesehen und ging anschließend verkleidet zur Uni. Als ich danach in der Kneipe saß, sagten die Leute: Jetzt musst du hier aber auch mal predigen!“ Was dabei geschah, beeindruckte sie selbst: „Schlagartig verwandelte sich die Partystimmung in vier Minuten Stille. Die Menschen haben mir tatsächlich zugehört.“ Und auch danach ergaben sich am Tresen gleich noch Gespräche mit der Theologiestudentin.

Für die heute 40-Jährige war das damals ein Schlüsselerlebnis. Und nur wenige Jahre später, im Probedienst in Weinheim, begegnete Anna Manon Schimmel das Thema erneut. Die dortige Kollegin hatte schon Kneipengottesdienste gefeiert, und so konnte sie diese Form auch wieder ausprobieren. „Wieder ein tolles Erlebnis“, so ihr Fazit und so nahm sie die Idee mit in ihre aktuelle Stelle. Drei Dörfer hat sie seit vier Jahren zu betreuen: Schutterzell, Ichenheim und Dundenheim. Badener Provinz. „Hier bin ich genau richtig“, strahlt die Theologin, wenn sie davon erzählt: „Es war immer schon mein Wunsch, Dorfpfarrerin zu werden. Das passt einfach zu mir.“ Davon abgesehen, gebe es eh nicht viele große Städte in Baden, ergänzt sie schmunzelnd.

Durchweg positive Reaktionen

Sie mag die Menschen auf dem Land und auch die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen in den Nachbardörfern: „Ich habe hier viele Freiräume, und die Kirchengemeinderäte sind sehr offen für neue Wege“. Eine gute Voraussetzung also, um das Konzept der Kneipengottesdienste weiterzuverfolgen. „Ich gehe einfach selbst viel aus und feiere gern. Da muss ich mich gar nicht verstellen. Im Studium in Heidelberg und Berlin habe ich deutlich mehr Zeit in Kneipen als in Kirchen verbracht“, sagt die Pastorin frei heraus.

Ein wenig Sorge hatte sie schon, wie konservative Gemeindeglieder ihre Idee aufnehmen würden. Aber die Reaktionen waren durchweg positiv und so ging es los. „Man muss das aber wirklich gut planen“, betont sie: „Ich kann nicht herkommen und sagen: Ich bin Pfarrerin und lade jetzt mal in die Gaststätte ein. So funktioniert das nicht. Die Leute strömen nicht zum Gottesdienst, nur weil er an einem anderen Ort stattfindet. “ Wochentag und Uhrzeit seien wichtig, erklärt Anna Manon Schimmel: „Für mich war es ganz klar der Freitagabend. Und ich habe die Menschen angesprochen, die ohnehin regelmäßig in der Kneipe sind. Ich hab mich an Stammtischen dazugesetzt. Ich hab gesagt: Bleibt bitte da und lasst euch nicht verschrecken.“ Allein dadurch wurden viele Dörfler neugierig. Zudem hat die Pfarrerin gute Live-Musik organisiert: „Das ist schon die halbe Miete. Außerdem bringen Bands auch Freunde und Familie mit.“

Und so wurde der erste Kneipengottesdienst auch hier ein voller Erfolg: „Jedenfalls war der Laden zum Bersten gefüllt. Junge und alte Menschen waren dabei, Kirchgänger und Kirchenferne. Es hat großen Spaß gemacht.“ Auch Freundinnen und Freunde der Pfarrerin kamen vorbei: „Die haben gesagt: Wenn ich ein Bier bekomme, und es ist Freitagabend. Warum nicht?“ Inhaltlich greift sie Themen auf, mit denen alle etwas anfangen können: Sünde, Segen, Beten. „Mein erster Versuch hier war wirklich berauschend. Sogar aus Freiburg kamen Gäste, die von dem Angebot gehört hatten.

Es wurde so voll, dass schnell der Vorschlag kam, man möge diesen Gottesdienst doch in eine große Halle verlegen und dort Bierbänke aufstellen. Eine schreckliche Vorstellung für die Pastorin: „Dann ist doch der ganze Charme weg. Für mich gehört gerade die muffige und kneipige Atmosphäre dazu. Am besten ist es, wenn man sich reinquetschen und zum Tresen durchkämpfen muss. Außerdem können so die Wirte noch Essen anbieten und ihren Umsatz machen. Das ist ja auch wichtig.“

Viel Auswahl bei der Location hat sie ansonsten nicht: „In jedem Dorf gibt es eigentlich nur eine Gaststätte.“ In allen hat sie nun schon gepredigt. Weitere Termine waren geplant, mussten aber wegen der Pandemie erstmal verschoben werden: „Gottesdienst mit Hygienekonzept in einer Kneipe feiern – das passt einfach nicht. Dann fehlt das Kuschelig-Gemütliche.“ Auch Live-Musik mit sechs Metern Abstand sei für sie nicht denkbar.

Jetzt gilt es also zu warten, bis Kneipengottesdienste wieder möglich sind. Online-Feiern bietet Anna Manon Schimmel keine an, weder aus der Kirche noch aus der Kneipe: „In meiner Gemeinde wollen das nicht viele gucken, und es gibt ja auch schon viele Angebote.“ Dafür hat sie an ihren Kirchen eine Weile Kurzgottesdienste zum Mitnehmen ausgelegt.

Gespräche mit Seriendarstellern

Wer die Pfarrerin doch digital erleben möchte, muss in den sozialen Medien vorbeischauen. Dort führt sie regelmäßig Gespräche mit Anne Kratzert, einer Kollegin aus dem Raum Karlsruhe. „Prost Gott“ heißt es dann etwa live auf Instagram. „Wir stoßen an und erzählen aus unserem Alltag. Das kommt gut an. Menschen hier im Dorf schauen das auch und sprechen mit mir darüber. Ich persönlich glaube, da haben alle mehr von als von einem weiteren YouTube-Gottesdienst.“

Ein besonderes Highlight ergab sich für die Pastorin in den letzten Wochen: Ihre Schwester Bettina Burchard ist Schauspielerin in der TV-Serie „Sankt Maik“ – einer Verwechslungskomödie, in der ein charmanter Betrüger ungewollt Priester wird. Es entstand die Idee, dass Anna Manon Schimmel, ebenfalls bei Instagram, Gespräche mit Darstellerinnen und Darstellern der RTL-Serie führt.

Siebenmal hat sie das nun schon gemacht und großen Spaß daran gefunden: „Für mich ist es einfach interessant, mit Menschen zu reden, die nicht Theologie studiert haben oder sogar aus der Kirche ausgetreten sind. Einige der Seriendarsteller haben sich ewig nicht mit dem Glauben auseinandergesetzt. Das ist doch spannend, mit solchen Menschen ins Gespräch zu kommen.“ Mittlerweile sind sogar noch andere Schauspielerinnen und Schauspieler auf Anna Manon Schimmel zugekommen und möchten gern digital mit ihr „quatschen“. „Da ist sogar ein Tatort-Kommissar dabei“, erzählt sie augenzwinkernd.

Die lockere Reihe wird also fortgesetzt. Die Pfarrerin sieht in diesen Formaten viele Parallelen zu ihrer sonstigen Gemeindearbeit: „Bei Trau- oder Taufgesprächen treffe ich doch auch auf Menschen, die sonntags sonst nicht zur Kirche kommen, aber Fragen zum Glauben haben“, so erlebt es die Theologin im Alltag. Und sie versucht, dann locker darüber zu reden, was ihr offensichtlich leicht fällt. „Manchmal haben die Menschen so einen Druck, sich rechtfertigen zu müssen. Das gefällt mir überhaupt nicht. Ich will, dass Menschen frei über ihren Glauben sprechen können.“

Und so bleibt sie Wanderin zwischen den Welten. Falls manche das kritisch sehen, findet sie das nicht so wichtig: „Ich möchte hier im Dorf feiern dürfen und kein schlechtes Gewissen haben, falls ich mal um vier Uhr morgens nach Haus komme. Ich bin so wie ich bin. Und weil die Gemeinde merkt, dass ich meine Aufgaben mit viel Herzblut angehe, erlebe ich kaum Gegenwind.“ Zuletzt kam sie sogar den Bitten nach, vor einem Fußballspiel und bei einem Junggesellenabschied zu beten: „Da stand ich dann vor den sportlichen Männern in der Kabine und habe sie gesegnet. Am Ende gab es eine Niederlage, aber es war dennoch ein schönes Erlebnis für alle.“ Und den Noch-Junggesellen konnte sie nur beglückwünschen: „Du hast die besten Freunde. Andere bestellen eine Stripperin, du bekommst stattdessen einen Segen. Wie schön!“

Den Segen macht sie übrigens gern mit einer Handvoll Konfetti sichtbar und greifbar. Das kam auch bei ihren Konfirmationen schon gut an. „Im Leben präsent sein“, so lautet ihr Motto. So hat sie es auch von klein auf erlebt, als sie mit ihren vier Geschwistern in Frankreich aufgewachsen ist: „Wir lebten in einem kleinen Dorf bei Paris, und die Leute gingen ein und aus. Das mag ich. Genauso offen möchte ich auch sein und auf keinen Fall klerikal-unnahbar.“ Und weil sie wieder nahe an Frankreich wohnt, ist sie auch hier Grenzgängerin: „Das ist meine schönste Auszeit, wenn ich schnell mal nach Straßburg fahren kann.“ Ab und zu braucht sie dann doch die große weite Welt.