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Wärmestuben als soziale Treffpunkte – auch im Berliner Schloss

Winterwetter, Nieselregen und hohe Energiekosten treiben die Menschen in Wärmestuben. Die heizen nicht nur innerlich auf, sondern sind auch gut gegen soziale Kälte – nicht nur bei Obdachlosen.

Das Schachspiel ist für die beiden der Rettungsanker. Dabei muss man denken, sich konzentrieren – aber nicht auf das, was gerade nicht so gut läuft im Leben. “Das Spiel hilft mir, nicht über die Stränge zu schlagen”, sagt Dennis, 48 Jahre alt.

Der Erzieher lebt in Berlin auf der Straße. Zusammen mit Guido, einem obdachlosen Elektriker, spielt er täglich Schach in der Wärmestube im Humboldt Forum – vermutlich bundesweit die einzige Einrichtung dieser Art, die sich in einem Schloss befindet.

Im Westflügel der ehemaligen königlichen Residenz, die mehrere Museen beherbergt, gibt es fast jeden Nachmittag kostenlos Kaffee, belegte Brote, Ruhe. “Es ist nicht leicht, die Leute anzubetteln und kein Zuhause zu haben”, stellt Dennis fest. Er ist Stammgast in dem von den Johannitern betriebenen Cafe in der Mitte der Hauptstadt.

Seitdem die Wärmestube im Humboldt Forum im November aufgemacht hat, kommen täglich 120 Menschen. Das Angebot, das von der Stiftung Humboldt Forum und dem Museumshops-Betreiber unterstützt wird, gibt es seit vergangenem Winter.

Das Publikum sei sehr gemischt, berichtet Jörge Bellin, der die Wärmestube im Schloss für die Johanniter betreut. Manche der Gäste seien obdachlos, andere hätten eine Wohnung, aber wenig Geld; wieder andere seien einsam.

“Es kommen viele Berliner und auch immer mehr jüngere Leute mit multiplen Problemen”, sagt er – psychischen etwa und finanziellen. Manche seien suchtkrank. Aber auch Touristen, die die Ausstellungen im Humboldt Forum besuchen, kämen manchmal vorbei. “Das soll auch so sein. Es ist bewusst ein Ort, an dem sich unterschiedliche Menschen begegnen sollen.”

Wärmestuben haben in Berlin eine lange Tradition. Seit der Kaiserzeit gehören sie zur Armenfürsorge. Die erste wurde 1891 am Alexanderplatz eröffnet und bot Platz für 500 Menschen.

Die Caritas-Wärmestube in Wilmersdorf im Westen von Berlin etwa gibt es seit mehr als 30 Jahren. Die Rentner Hans, Dieter, Rudi und Wolfgang sind jeden Nachmittag da. Sie essen zusammen Nudeln mit Spinatsauce, trinken Kaffee oder – wenn es draußen Minusgrade hat – einen Tee mit Honig. Manchmal gibt es Kuchen dazu.

“Du wirst hier richtig gut verwöhnt”, sagt der weißhaarige Hans, 65 Jahre alt, und setzt sich behaglich auf seinem Stuhl zurecht. Er bekommt eine Rente von rund 430 Euro im Monat, dazu Wohngeld. Zum Leben sei das zu wenig, sagt er.

Der ehemalige Maschinenschlosser ist deshalb froh, hierherkommen zu können, jeden Tag drei Stunden lang. In den Wintermonaten öffnet die Wärmestube täglich von 15 bis 18 Uhr und bietet ein kostenloses warmes Mittagessen an. Schon um kurz vor drei stehen die Menschen draußen in der Schlange und warten.

Angelika Kaljic leitet die Einrichtung seit vier Jahren. Ob jemand wirklich bedürftig ist, das will sie gar nicht wissen. “Ich will keinen Nachweis sehen”, betont die grauhaarige Frau. “Selbst wenn jemand ein bisschen Geld hat: Wenn er hierhin kommt, ist er auch irgendwie bedürftig.”

Die meisten Gäste seien Stammkunden, erzählt sie. “Meistens sind es Männer über 60. Bei ihnen zu Hause ist es nicht gemütlich, hier haben sie ihre Ruhe, und es gibt etwas zu essen.” Zwei Drittel der Besucher, die zumeist aus Deutschland, aber auch aus Bulgarien oder Syrien kommen, hätten eine Wohnung, schätzt sie. “Die kommen eher, weil sie Gesellschaft suchen, weniger, weil sie zu Hause nicht heizen können.”

So wie der 70-jährige Wolfgang. “Hier kann man sich austauschen. Wir reden über Gott und die Welt. Alle sind nett und höflich.” Rudi, 75 Jahre alt, weißbärtig mit Brille, erzählt, dass in seiner Unterkunft die Heizung kaputt ist und er dort auch keinen Strom habe. “Ich sehe zu, dass ich dann erst gegen 23 Uhr dorthin gehe.” Den Weg zu seinem Schlafsack beleuchtet er mit seinem Handy, das er tagsüber in der Wärmestube der Caritas aufgeladen hat.

Geschichten wie diese sind Kaljic vertraut. Und sie weiß, dass viele ihrer Gäste von Wärmestube zu Wärmestube ziehen. Wenn irgendwo eine Einrichtung schließt, öffnet woanders eine andere: Das ist für viele besser, als allein zu Hause zu sitzen. Und billiger ist es eben auch.

Auch mit Kleidung hilft sie bei Bedarf aus. “Vergangene Woche war jemand da, der im Schnee in Badelatschen und einem zerlumpten Hemd unterwegs gewesen ist. Dem habe ich erst einmal neue Sachen gegeben”, sagt Kaljic. Wer Sorgen hat, kann ihr sein Herz ausschütten. Den nimmt sie dann auch mal mit ins Hinterzimmer, damit sie ungestört sprechen können.

Die Wärmestube im Humboldt Forum wirkt einladend – und auch ein bisschen ungewöhnlich. Die Silhouette von Friedrich dem Großen steht als Aufsteller neben gespendeten Pullovern und Hosen. Großformatige Porträts von Gästen und Mitarbeitern hängen an den Wänden – “mensch_sein” heißt die Fotoausstellung des Rostocker Fotografen Andreas Duerst.

Dennis mag das Cafe im wiederaufgebauten Schloss. Er ist gerne da – auch wenn er die Museumsbesucher, die es ab und an hierhin verschlägt, mit gemischten Gefühlen betrachtet. “Die kommen mir immer ein bisschen unbedarft vor. Das ist so eine andere Welt, in der die leben. Und ich bin der Zuschauer.”