Man stelle sich vor: ein jiddisches Tohuwabohu mit Kostümierung und Verfolgungsjagden in einem deutschen Film der Fassbinder-Ära. Undenkbar! Chef-Komiker Louis de Funes zog die Sache durch – trotz Kriegs im Nahen Osten.
Da starrt er seinen Chauffeur aber an. “Was, Salomon?? Sie sind Jude?? Ein waschechter Jude? … Naja, also, macht nichts, ich behalte Sie trotzdem…” – “Und mein Onkel, der jetzt aus New York kommt, der ist sogar Rabbiner.” – “Ja, aber doch kein Jude, oder?”
Der französische Großunternehmer Victor Buntsprecht ist entsetzt. “Franzosen sind katholisch! Wie alle Welt!” – das hatte er bis eben wahrscheinlich wirklich gedacht. “Aber – Monsieur sind vielleicht ein Rassenfanatiker”, wagt Chauffeur Salomon nun zu sagen, nachdem Buntspecht während seiner rasenden Fahrt gerade die Hochzeit eines weißen Franzosen mit einer schwarzen Braut gecrasht hat.
Was der Komiker Louis de Funes als Hauptdarsteller und Antreiber da am 18. Oktober 1973, vor 50 Jahren, in die Kinos brachte, war so fulminant wie unerhört. Man stelle sich das nur in einem bundesdeutschen Film der Ära von Fassbinder und NS-Aufarbeitung vor: Ein kaum verhohlener Antisemit wird durch ein politisches Kuddelmuddel gezwungen, sich zusammen mit einem arabischen Politiker als prominenter Rabbiner-Besuch aus den USA auszugeben und, mitten im jiddischen Milieu des Stadtteils, die Bar-Mizwa-Feier für seinen vermeintlichen Großneffen zu leiten. Was für ein Chaos! Und dann entdeckt ihn auch noch sein schließlich doch gefeuerter Chauffeur und muss die Täuschung decken.
Louis de Funes alias Buntspecht (frz.: Pivert) grimassiert, drückt sich erst – und kann dann ja doch nicht anders. Nu begrießt er also als vermeintlicher Rabbiner die Familien: die Rosenfelds, die Rosenbergs, die Levis; er tanzt und spricht Jiddisch, als hätte er seit Jahrzehnten immer nur im Schtetl gefeiert (“Es ihs a Wunder, Salomon!”). Trotz einiger Schnitzer – er segnet etwa beim Empfang die jüdische Menge mit dem Kreuzzeichen – absolviert Buntspecht die Bar-Mizwa-Feier mit Bravour.
Als wäre das alles als Kino-Plot nicht schon undenkbar unkorrekt genug, brach am 6. Oktober 1973, zwölf Tage vor dem Kinostart, noch der sogenannte Jom-Kippur-Krieg los; der vierte arabisch-israelische Krieg im Rahmen des Nahost-Konflikts (6. bis 25. Oktober). Im Grunde ist die Situation also heute, bei der Erinnerung an die Kontroverse vor 50 Jahren, fast exakt wie damals. Die Frage: Darf das sein? Im Kino Salven grenzwertiger Witze über Juden, Salven grenzwertiger Witze über Araber, wenn zeitgleich echte Geschosse zwischen den beiden verfeindeten Lagern hin- und herfliegen?
In der Auseinandersetzung darum gab es sogar ein weiteres Drama: Am Tag des Filmstarts, dem 18. Oktober 1973, entführte Danielle Batisse, zweite Ehefrau des PR-Agenten von “Rabbi Jacob”, Georges Cravenne, mit Waffengewalt eine Boeing 727 der Air France mit 112 Menschen an Bord, um die Veröffentlichung zu stoppen. Mit einem 22er-Karabiner im Anschlag erklärte sie, sie stehe im Dienst einer französisch-jüdisch-arabischen Aussöhnung. Der Film sei anti-palästinensisch und diene der Belustigung einer “gleichgültigen Welt, die sich ganz dem Geld unterworfen” habe.
Beim Tankstopp auf dem Flughafen Marseille wurde Batisse von einer Eliteeinheit der Polizei mit drei Kopfschüssen getötet – und der Film am Abend wie geplant im Pariser Gaumont-Alesia uraufgeführt. Ein Lacherfolg ohnegleichen, wie Daniele Thompson festhielt, die Tochter von Regisseur Gerard Oury. Immerhin: In einer Nacht-und Nebel-Aktion habe man danach in Paris die Großplakate mit de Funes in orthodox-jüdischer Kluft und Schläfenlocken wieder eingeholt.
Viele Klamauk-Streifen der 60er und 70er Jahre, ja sogar einige des Großmeisters de Funes, wirken heute abgeschmackt und überholt. “Die Abenteuer des Rabbi Jacob”, die damals allein in Frankreich 7,3 und in (West-)Deutschland 2,7 Millionen Zuschauer in die Kinos zogen, gehören nicht dazu. Die burleske Vehemenz der Szenen und Dialoge, das jiddische Tohuwabohu mit Kostümierung und Verfolgungsjagden, funktionieren auch nach 50 Jahren noch. Drehbuchautorin Daniele Thompson sieht den Film bis heute in einer “eigentümlichen Mischung aus der tatsächlichen Gewalt jener Tage und einer Euphorie der Fiktion”.
Nicht nur Araber und Juden kriegen in “Rabbi Jacob” gleichermaßen ihr Fett weg; auch die arrogante französische Bourgeoisie aus Zahnärzten, Offizieren und Kaugummifabrikanten, die sich für grundsätzlich besser halten und gar nicht merken, wie schäbig und opportunistisch ihr Verhalten ist. Ob der Katholik und Geldsack Victor Buntspecht am Ende von so viel jüdischer Herzlichkeit geläutert ist? Es wäre doch zu schön… Der Filmstar de Funes jedenfalls wechselte nach dem anstrengenden Dreh von “Rabbi Jacob” vorübergehend zum Theater und erlitt im März 1975, kurz nacheinander, zwei Herzinfarkte.