Copy and Paste – auch Johann Sebastian Bach hat sich dieser Technik schon bedient: bei seinem Oster-Oratorium. Warum dieses Werk so wenig bekannt ist, weiß Bach-Experte Michael Maul.
Sein Weihnachts-Oratorium wird landauf, landab nicht nur in der Weihnachtszeit aufgeführt; seine Johannes- und Matthäuspassion sind über die Fastenzeit hinaus musikalische Dauerbrenner. Das Oster-Oratorium von Johann Sebastian Bach hingegen führt ein Schattendasein. Woran liegt das? Michael Maul, Intendant des Leipziger Bach-Festes, unermüdlicher Bach-Botschafter und bekennender “Bach-Bekloppter”, hat nicht nur darauf einige Antworten.
Was das Oster-Oratorium betrifft, so führt Maul mehrere Gründe dafür an, dass dieses bei weitem nicht so bekannt ist wie andere Werke Bachs. Einer davon ist die fehlende Dramaturgie der Vorlage. “Beim Weihnachts-Oratorium haben wir das Glück, dass Bach tatsächlich den biblischen Bericht, der uns die Weihnachtsgeschichte überliefert, eins zu eins vertont hat, garniert mit Arien und Chorälen, die das Ganze wie in einer guten Predigt ausdeuten.”
Teile des Oster-Oratoriums wie das Libretto kämen dagegen ganz ohne Bibelbezug aus. Die Schilderung etwa, wie die beiden Jünger zum Grab gehen und über ihre Empfindungen sprechen, sei völlig frei. Es handele sich um eine “sehr abstrakte Darstellung, die mehr eine Art Osterspiel ist”. Man benötige eigentlich zusätzlich gelesenen Bibeltext, um die Handlung richtig zu verstehen.
Mit rund 35 Minuten Länge sei das Werk zudem deutlich kürzer als das berühmte Weihnachts-Oratorium mit seinen sechs Kantaten, erklärt Maul. Die einzelnen Kantaten des Weihnachts-Oratoriums waren seinerzeit noch in die üblichen Frühgottesdienste der Weihnachtszeit eingebunden. Deswegen war es zu Bachs Zeiten gar nicht möglich, damals ein ein- oder zweistündiges Stück en bloc aufzuführen.
Abgesehen davon, dass das Werk alleine nicht abendfüllend ist, gibt es für den Bach-Experten aber auch handfeste organisatorische Gründe für ein Schattendasein des Oster-Oratoriums: “Instrumental ist es relativ opulent besetzt; das heißt, die Aufführungen sind relativ teuer, weil man ein recht großes Orchester zusammenstellen muss.” Zudem ist das Stück für einen Chor wenig attraktiv. Es gebe nur einen “Eingangschor, der ursprünglich ein Duett war, das Bach dann erst in den späteren Fassungen zu einem vierstimmigen Chor erweitert hat”.
Die Musik des Oratoriums hat Bach übrigens recycelt: “Das Oster-Oratorium ist auf eine ganz pragmatische Art und Weise entstanden, nämlich im Parodieverfahren”, erklärt Maul. Bach sei im Februar 1725 bei Herzog Christian in Weißenfels beauftragt worden, ein Geburtstagsstück zu schreiben, die sogenannte Schäfer-Kantate. Der Text hierzu stamme von Christian Friedrich Henrici, genannt Picander, der später auch die Matthäuspassion für Bach gedichtet habe. “Bach hat die Musik dann mehr oder weniger eins zu eins übernommen und Picander gebeten, einen neuen Text dazu zu schreiben, der unter die Noten passt.” Das sei auch der simple Grund dafür, warum die Musik des Oster-Oratoriums seltsam pastoral anmute: “Bach hatte die Musik eben für einen ganz anderen Text ersonnen.”
Ursprünglich ging es darum, dass zwei Hirten und zwei Schäfer die frohe Kunde vom Geburtstag ihres Herzogs Christian erhalten und dann ihrem “Oberschäfer” ein Ständchen bringen. Diese Schäfer-Kantate arbeitete Bach dann zum Oster-Oratorium um, das er selbst zu Lebzeiten mehrfach aufgeführt und überarbeitet hat.
Zum ersten Mal zur Aufführung kam das Stück am 1. April 1725, vor genau 300 Jahren. Allerdings gibt es laut Maul im Jubiläumsjahr nicht mehr Aufführungen des Oratoriums als in anderen Jahren. Dabei könnte man dem Werk leicht mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen: Schließlich gebe es von Bach diverse Kantaten für die Osterfeiertage und die folgenden Sonntage, aus denen – analog zum Weihnachts-Oratorium – eine Art abendfüllendes Oster-Oratorium zusammengestellt werden könne, gibt Maul zu bedenken. “Und hintendran noch eine Himmelfahrtskantate”, und fertig sei ein rundes Konzertprogramm.
Dass dies bislang nicht erfolgt, hat laut Maul aber noch weitere Gründe, unter anderem die Wünsche eines modernen Publikums sowie liturgische Gepflogenheiten: “Das Weihnachts-Oratorium ist heute so beliebt, weil es uns allen die Möglichkeit gibt, uns in all diesem Stress, den wir in dieser Zeit haben, auf das Weihnachtsfest vorzubereiten. Meistens schon im Advent, was historisch betrachtet im Übrigen völlig falsch ist.” Beim Weihnachts-Oratorium werde die ganze Geschichte in Konzertlänge präsentiert, ebenso bei Bachs rund zweistündigen Karfreitagsmusiken – der Matthäus- und Johannes-Passion. Das vergleichsweise kurze Oster-Oratorium kann da als Einzelwerk nicht mithalten.