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Vor 250 Jahren gab es in Deutschland den letzten Hexenprozess

Wegen eines Pakts mit dem Teufel wurde Anna Maria Schwägelin vor 250 Jahren zum Tode verurteilt. Ihr Verfahren gilt als Deutschlands letzter Hexenprozess. Schwägelins Leben endete anders als lange Zeit gedacht.

Tod durch das Schwert, so lautet das Urteil im letzten Hexenprozess auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Verkündet wurde es vor 250 Jahren in Kempten im Allgäu, am 8. April 1775. Der Schuldspruch richtete sich gegen eine Frau, von deren Namen diverse Schreibweisen überliefert sind: Mal heißt sie Anna Maria Schwägelin oder Schwegelin, mal Schwägele oder auch Schwegele.

Zur Welt kam sie wahrscheinlich Anfang 1729. Katholisch getauft wurde sie jedenfalls am 13. Januar dieses Jahres in Lachen bei Memmingen, einem Ort, der den Fürstäbten von Kempten unterstand. Ihre Eltern gehörten zur landlosen dörflichen Unterschicht, wie der Historiker Wolfgang Petz in seiner Abhandlung “Der letzte Hexenprozess im Reich” schreibt. Vermutlich 1748 trat Schwägelin demnach ihre erste Stelle als Magd an. “In den folgenden Jahrzehnten suchte sie ihre Arbeitsplätze bevorzugt in der ländlichen Umgebung von Memmingen.”

1751 lernte Schwägelin den Kutscher Martin Linck kennen, einen Protestanten. Er habe “ihr versprochen, daß er sie heurathen wolle, wan sie lutherische werde”, zitiert Petz eine historische Quelle. Schwägelin habe später in einem Verhör angegeben, konvertiert zu sein, dafür gebe es jedoch keine Belege. So oder so sei es nicht zur Hochzeit mit dem Kutscher gekommen.

Schwägelins Glaube an die Konversion wurde jedenfalls entscheidend für ihr weiteres Leben, wie Petz meint. “Wenige Monate später fand ihrer Darstellung zufolge die erste Begegnung mit dem Teufel statt. Wie sie einmal damit beschäftigt gewesen sei, auf dem Feld Futter zu schneiden, habe sie sich hingelegt und sei eingeschlafen. Nachdem sie zwei Stunden später aufgewacht sei, habe sie hastig Hafer ausgerupft und unter das Gras gemischt, um die verlorene Arbeitszeit wieder gut zu machen.”

Dabei soll sie “in Teufels Namen” ausgerufen haben – und der Genannte plötzlich in Gestalt eines Jägers auf sie zugekommen sein. Der Mann habe mit ihr “kurzweilen” wollen, schildert Petz Schwägelins Erzählung. “Nachdem sie ihm dies abgeschlagen hatte, gab sich der vermeintliche Jäger als der Teufel zu erkennen und kündigte ihr zum Abschied an, sie würden schon noch zusammenkommen. Dabei half er ihr, das Heu auf den Rücken zu laden.” Kurz darauf sei der Teufel erneut erschienen. Nachts. Er habe erst verlangt, Gott, Maria und alle Heiligen zu verleugnen, dann mit Schwägelin Sex gehabt und sie fortan immer wieder im Schlaf heimgesucht.

Bei Anna Maria Schwägelin dürfte sich mit der Zeit die Vorstellung verfestigt haben, dass es für sie nach ihrem doppelten Glaubensabfall (Konversion und Teufelspakt) keinen Weg zurück gab, wie Petz schreibt. “Das Ergebnis waren schwere Selbstvorwürfe und vom Teufel eingegebene Suizidgedanken.”

Die Zeit verging und mit ihr Schwägelins Gesundheit. Sie befand sich wegen Arbeitsunfähigkeit in einem Armenhaus, als sie 1775 ins Visier der Justiz geriet. Schwägelin hatte einer anderen Frau in dem Fürsorgeheim von ihren angeblichen Teufelstechtelmechteln erzählt und war daraufhin von ihr angezeigt worden. Im Verlauf der Verhöre zeigte sich die Verdächtigte geständig. Der Richter befand sodann: “Das crimen magiae ist außer allem Zweifel gesezet.” Schwägelin sollte enthauptet werden. Wurde sie aber nicht. Stattdessen kam sie ins “Stockhaus” genannte Gefängnis.

“Die überraschende Wendung des Falls entzieht sich einer eindeutigen Erklärung”, notiert Petz. “Zumindest als äußerliche Begründung für eine Aussetzung der Todesstrafe konnten die offenkundigen Unstimmigkeiten herhalten, die sich förmlich aufdrängten, wenn man die relativen Zeitangaben der Angeklagten überprüfte.” Und weiter: “Vielleicht, so ließe sich spekulieren, waren diese äußeren Diskrepanzen aber auch nur die vorgeschobenen Argumente der jungen Aufklärer am Kemptener Hof, die eine offene Konfrontation mit den Kräften der Reaktion (noch) nicht wagen konnten.”

Dass das Todesurteil nicht vollstreckt wurde, war lange unbekannt. Die Prozessakten im Fall Schwägelin hielt man für verschollen – bis sie in den 1990er Jahren in Kemptener Privatbesitz auftauchten und Wolfgang Petz sie auswerten konnte.

Wie ging es also mit der Verurteilten weiter? Erst sechs Jahre nach ihrem Prozess findet sich in einem Kirchenbuch wieder ein Hinweis auf deren weiteres Schicksal, wie Petz weiß. “Danach starb Anna Maria Schwägelin am 7. Februar 1781 im Kemptener Stockhaus, wohlversehen mit den kirchlichen Sterbesakramenten.”

Das Leben der letzten “Hexe” sei in Kempten lange eher als amüsante Anekdote behandelt worden, heißt es auf “Fembio”, einem Internetportal für Frauenbiografieforschung. Seit etwa 1985 setzte sich demnach eine Gruppe geschichtsbewusster Frauen für ein würdiges Gedenken an Schwägelin ein. Mit Erfolg: 2002 wurde Schwägelin ein Brunnen vor der barocken Residenz im Kemptener Stadtkern gewidmet, 2018 ergänzt um eine Stele mit Informationen über Schwägelin und die Hexenprozesse in der Region. Auch einen Gedenkstein gibt es. Darauf steht zu lesen: “Erinnerung ist das Geheimnis der Vergebung.”