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Vor 125 Jahren wurde der Deutsche Fußball-Bund gegründet

Eine graue Steintafel unweit des Leipziger Hauptbahnhofs erinnert an einen historischen Moment: die Gründung des DFB am 28. Januar 1900. Was seither geschah…

“Wir wollten uns nicht aus dem Spiel nehmen, wenn die Fifa oder andere Organisationen in den kommenden Jahren die Themen Frauenrechte oder Arbeitsmigration ansprechen.” So begründete der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes Bernd Neuendorf das Ja seines Verbandes zur Vergabe der Fußball-WM 2034 nach Saudi-Arabien. Was in Katar 2022 nicht geklappt hat, soll also nun im weitaus größeren und mächtigeren Nachbarland funktionieren: eine Verbesserung der Menschenrechtslage mithilfe des Sports.

Schon immer lief der Fußball Gefahr, sich auf dem Feld der Politik zu verdribbeln. Das war schon vor 125 Jahren so, als der DFB am 28. Januar 1900 im heute nicht mehr existierenden Restaurant “Zum Mariengarten” in Leipzig gegründet wurde. Zuvor hatten die 34 Delegierten intensiv um die Frage gerungen, ob auch die beiden Prager Fußballvereine Deutscher Fußball-Club und Deutscher Fußball-Club Germania mit dazugehören durften.

“Was werden die Czechen sagen: ‘Erst eingeladen und nachher von den deutschen Brüdern verstossen, die doch für die noch entfernter stehenden Buren so grosse Sympathieen haben'”, argumentierten die Fürsprecher der beiden Prager Vereine, indem sie einen weiten Bogen bis zu den damals gegen die Briten kämpfenden Buren nach Südafrika schlugen. “Die Thatsache der vollendeten Einigung der deutschen Fußballcorporationen wurde freudigst begrüßt”, jubilierte am Tag nach der Gründung des DFB das “Prager Tagblatt”.

Der Politikwissenschaftler Arthur Heinrich resümiert, die im Mariengarten anwesenden Delegierten hätten die mehrheitlich im Land verbreitete Unfähigkeit geteilt, “über Zugehörigkeit anhand der Staatsgrenzen und nicht nach völkischen Kriterien zu entscheiden”. Erster DFB-Chef wurde Ferdinand Hueppe vom DFC Prag, der mit 46 Jahren als Alterspräsident die Sitzungsleitung in Leipzig übernommen hatte.

Anfangs tat sich die als “Fußlümmelei” aus England geschmähte Sportart noch schwer. Doch bald schon wurde klar: der Siegeszug des Fußballs war nicht aufzuhalten. Traten zunächst hauptsächlich Gymnasiasten und Studenten gegen das runde Leder, zog die Begeisterung bald weite Kreise. Nur ein Beispiel unter vielen: Der Fußballverein Borussia Dortmund gründete sich 1909 im Umfeld der katholischen Dreifaltigkeitskirche im Stahlarbeiterviertel der Dortmunder Nordstadt.

Davon profitierte auch der DFB: Schon 1920 zählte er rund 468.000 Mitglieder; pro Jahr kamen 40.000 weitere hinzu. Die Verantwortlichen schlossen erste Werbeverträge mit Brauereien und Tabakherstellern. Zur wichtigsten Einnahmequelle in der Weimarer Republik wurden jedoch die Länderspiele, wie Historiker Nils Havemann schreibt, der im Auftrag des DFB von 2001 bis 2005 die Geschichte des Verbandes in der NS-Zeit erforschte. “Selbst bei Spielen zwischen deutschen und ausländischen Vereinsmannschaften auf heimischem Boden kassierte der DFB ein Prozent der Bruttoeinnahmen und auf fremdem Boden vier Prozent der vom Gastgeber gewährten ‘Reiseentschädigung’.”

Zugleich achtete der Verband laut Havemann peinlich genau darauf, die Spieler zumindest nach außen hin auf den Amateurstatus zu verpflichten. Andernfalls wäre ihm und den angeschlossenen Vereinen die steuerlich lukrative Rechtsform der Gemeinnützigkeit entzogen worden. Geld schießt keine Tore – aber nur ein Tor verzichtet auf mehr Geld, lautete offenbar die Devise.

Als Adolf Hitler 1933 die Macht ergriff, “erlebte der deutsche Fußball einen enormen Aufschwung, der durch eine sportfreundliche Gesetzgebung, den Bau neuer und großer Arenen und die großzügige finanzielle Förderung der Vereine verstärkt wurde”, schreibt Havemann. Bei der Fußball-WM 1934 in Italien landete die deutsche Nationalmannschaft auf dem dritten Platz – nicht zuletzt dank Mittelstürmer Edmund Conen, dessen sagenhafte Trefferquote – unter anderem ein Hattrick im Achtelfinale gegen Belgien – erst von Gerd Müller übertroffen werden sollte.

In der Heimat verdüsterte sich das Bild dagegen rasch – auch wenn die DFB-Führungsspitze keineswegs nur aus strammen Nationalsozialisten bestand. Präsident Felix Linnemann hatte bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 laut eigener Auskunft die katholische Zentrumspartei gewählt, wie Havemann festhält; Reichstrainer Otto Nerz machte noch 1938 aus seiner sozialdemokratischen Vergangenheit keinen Hehl. Trotzdem beteiligten sich die Verbandsoberen bald schon an der Ausgrenzung jüdischer Sportler und Vereinsvertreter.

“Ja, der DFB hat sich mit der NS-Diktatur und einem menschenverachtenden System, das den Holocaust zu verantworten hat, gemein gemacht. Dort, wo man sich für Verbands- und Vereinsmitglieder hätte einsetzen müssen, herrschten Opportunismus und Willfährigkeit”, schreibt Bernd Neuendorf in der unlängst erschienenen Jubiläums-Ausgabe des DFB-Journals.

Die geschmeidige Anpassung an die Machthaber konnte freilich nicht verhindern, dass der DFB mehr und mehr unter Druck geriet und im Frühjahr 1940 formal aufgelöst wurde. Der Neubeginn ab 1949 erfolgte zu Teilen mit altem Personal und stand unter dem Eindruck der Nachkriegsordnung. Der Fußballverband im französisch besetzten Saarland gehörte zunächst nicht mit dazu. Und in der DDR konstituierte sich wenig später der Deutsche Fußball-Verband.

Im Zuge der Wiedervereinigung 1990 wurde ein weiteres Mal Fußballgeschichte in Leipzig geschrieben, als dort am 20. November die Auflösung des DFV beschlossen wurde. Bilder von damals zeigen eine von alten Männern dominierte Versammlung. Frauen standen im deutschen Verbandsfußball lange im Abseits. Immer noch legendär das 41-teilige Kaffeeservice, das der DFB 1989 der Damen-Elf zum Gewinn des ersten EM-Titels schenkte.

Was sportliche Erfolge anbelangt, können sich die Frauen längst schon mit den Herren messen. Nur bei den Prämien bleibt weiter Luft nach oben. Mit Blick auf das sportethische Engagement könnte der mit rund 7,7 Millionen Mitgliedern größte nationale Sportverband der Welt nach Ansicht von Kritikern national und international deutlich mehr bewegen. Gern hätte man darüber mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf gesprochen. Für ein Interview war allerdings keine Zeit.