Mehr als 256.000 Menschen in Deutschland sind im vergangenen Jahr Opfer häuslicher Gewalt geworden – Tendenz steigend. Zeit zu handeln, findet eine Frau aus Ludwigshafen, die ihre Tante durch einen Femizid verloren hat.
Als ihr Onkel vor Gericht sagt, es tue ihm leid, er könne die Tat aber nicht mehr rückgängig machen, verlässt Diana König den Gerichtssaal. “Ich wollte seine letzten Worte nicht mehr hören, es war eine Farce.” Zweieinhalb Jahre ist das her, Ende 2021 wird der Onkel, damals 70 Jahre alt, wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Er hatte seine Frau, die Tante von Diana König, erschossen. 66 Jahre wurde sie alt. “Zwei Schüsse in den Kopf, es war eine Hinrichtung.”
Es hat lange gedauert, bis Diana König in ihr normales Leben zurückkehren konnte. “Der Hass und der Schmerz waren so groß”, sagt die heute 49-Jährige. Sie fällt in ein Loch, wird krank, findet schließlich einen Psychotherapeuten und eine Antwort: Sie hat nichts falsch gemacht, sie trägt keine Schuld.
König beginnt, sich mit häuslicher Gewalt und Femiziden – der Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind – auseinanderzusetzen. Sie stellt fest, dass es so schambesetzt ist, dass niemand darüber reden will: “Viele betroffene Frauen scheuen sich, Hilfe zu suchen.” Sie hat nun in Ludwigshafen eine neue Anlaufstelle geschaffen, eine Selbsthilfegruppe für Menschen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind sowie für Angehörige von Femiziden. Die Gruppe heißt “Lydia”. Es ist der Name von Diana Königs Tante.
Ihre Tante habe mehrmals in der 50 Jahre langen Beziehung versucht, ihren Mann zu verlassen. Immer wieder kehrte sie zu ihm zurück. Der Onkel habe die Tante psychisch unter Druck gesetzt, auch gewalttätige Übergriffe soll es gegeben haben. Einmal telefoniert Diana König mit ihrem Onkel und sagt, er solle die Tante nicht bedrängen, sie brauche Luft zum Atmen. “Wenn ich sie nicht haben kann, dann kann sie auch kein anderer haben”, habe ihr Onkel daraufhin gesagt, erzählt Diana König. Ende 2018 zieht ihre Tante erneut aus der gemeinsamen Wohnung aus – diesmal ist es ihr ernst. Wenige Monate später ist sie tot.
An einem Abend im März 2019 sucht sie ihre alte Wohnung auf; es bleibt unklar, was genau sie dort wollte. Es kommt zum Streit. Der Onkel habe gefordert, sie solle ihre neue Wohnung aufgeben und zu ihm zurückkehren. Doch sie sagt: Nein. Da holt er eine Waffe, die er illegal besitzt, und schießt.
Ihr Onkel wird zunächst wegen Totschlags verurteilt; die Staatsanwaltschaft legt Revision beim Bundesgerichtshof ein, der Fall wird ans Landgericht Frankenthal zurückverwiesen und muss neu verhandelt werden. Im Dezember 2021 ergeht ein zweites Urteil: Die Richterin sieht das Mordmerkmal Heimtücke als erfüllt an, der Onkel wird wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.
Für Diana König und vor allem ihre Mutter, die Schwester der Ermordeten, die als Nebenklägerin aufgetreten war, sei die Zeit bis zum Urteil ein Alptraum gewesen. Dass das Strafmaß am Ende verschärft wird, ist für die 49-Jährige zwar eine Genugtuung. Ihre Tante bringt das jedoch nicht zurück. “Sie fehlt uns jeden Tag.”
Die Selbsthilfegruppe ist eng vernetzt mit anderen Beratungsstellen in Ludwigshafen. “Wenn die Frauen, die zu mir kommen, mehr oder andere Hilfe benötigen, kann ich sie weiter vermitteln.” Diana König hält außerdem Kontakt zu zwei weiteren Selbsthilfegruppen in Aachen und Kiel sowie der Bundesinitiative für Gewaltschutz. Sie will das Thema in die Öffentlichkeit tragen, in die Mitte der Gesellschaft. Denn: “Häusliche Gewalt kann alle Frauen treffen, unabhängig von Alter, Bildungsstatus und Nationalität.”
Neben den von Gewalt Betroffenen liegt der Fokus der Selbsthilfegruppe auf den Angehörigen von Femizid-Opfern. Denn die trauern nicht nur um Mutter, Schwester oder Schwägerin, sondern müssen zudem damit zurechtkommen, dass der Mörder aus dem persönlichen Umfeld kommt. “Ich kannte meinen Onkel Zeit meines Lebens, er war mir vertraut.” Sie hätten Zeit miteinander verbracht, Familienfeste gefeiert. “Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass er so weit geht.”
Diana König sagt, sie habe ihren Hass in den Griff bekommen: “Ich muss mich für nichts schämen.” Sie hofft, dass ihre Tante dort, wo sie jetzt ist, ihren Frieden gefunden hat – und dass “Lydia” anderen Frauen und Angehörigen ein solches Martyrium ersparen kann.