„So viele Morde, wie es Mordflecken in Thüringen gibt, kann es gar nicht gegeben haben“, sagte Barbara Aehnlich. Für die Wissenschaftlerin der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind solche Flurnamen beispielhaft dafür, dass ihre Herkunft erst einmal in die Irre führen kann. So verberge sich hinter den meisten Mordflecken im Freistaat einfach nur ein Übersetzungsfehler der preußischen Landvermesser zum Anfang des 19. Jahrhunderts. „Mordfleck“ setze sich zusammen aus „Am Ort“ und „Eck“ und kennzeichne die Flur einfach nur als einen ehemaligen Grenzort. „Die Preußen haben oftmals die Mundart einfach nicht verstanden“, sagte Aehnlich.
Geschätzt 300.000 Flurnamen in rund 3.000 Gemarkungen soll es in Thüringen geben. 200.000 der Namen wurden bislang zusammengetragen und größtenteils auf Karteikarten erfasst, berichtete die Leiterin der Forschungsstelle zur Flurnamenforschung. Die Idee dahinter sei fast ein Jahrhundert alt.
Bereits 1930 begannen Wissenschaftler an der Universität Jena historische Flurnamen in Zettelkästen zusammenzutragen. Derzeit arbeite die Uni daran, diese, teils Jahrzehnte alten Karten zu digitalisieren, zu vereinheitlichen und die verzeichnete Abkürzungen aufzulösen. Parallel werde in Masterarbeiten oder wissenschaftlichen Veröffentlichungen nach der Bedeutung einzelner Flurnamen geforscht. Denn sie seien mehr als bloße geografische Bezeichnungen, sagte die Sprachwissenschaftlerin. Es handele sich um Archive vergangener Zeiten und stelle kulturelle Entwicklungen der Menschen Thüringens dar.
Manches wie der „Anger“ oder die Bezeichnung „Am Friedhof“ ist laut Aehnlich einfach zu deuten. Beim „liegenden Hund“ werde es schon schwieriger. Der Flurname bei Bad Berka verweise nicht auf eine besondere Geländeform, sondern auf den kargen Boden, der den Eigentümer dieses Landes „schuften ließ wie ein Hund“. Völlig in die Irre führe das „Ritterspiel“ im ostthüringischen Orlamünde. Hier seien wohl niemals Turniere ausgefochten worden. Stattdessen habe es sich um den Hügel eines „Herrn Ritter“ gehandelt.
Der Thüringer Heimatbund in Bad Berka ist bei dem Projekt Kooperationspartner der Uni Jena. Thüringens Kulturstaatssekretärin Tina Beer (Linke) sagte bei einem Besuch des Heimatbundes am Freitag, das bundesweit Besondere an diesem Projekt sei die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Ehrenamt.
Flurnamensforschung werde auch in anderen Bundesländern betrieben, sagte Beer. Doch der Versuch, mit ehrenamtlichen Helfern in der Fläche auch der Bedeutung der Bezeichnungen näherzukommen, sei einmalig in Deutschland. Ein Antrag für die Aufnahme der Forschung in das immaterielle Kulturerbe solle die Bedeutung dieser Arbeit hervorheben.
Der Germanist und Historiker Pascal Mauff vom Thüringer Heimatbund sagte, das Interesse an dem Thema sei in der Bevölkerung zwar generell vorhanden. Derzeit seien aber nur 400 Helfer registriert. „Die älteren Ehrenamtlichen hören nach und nach auf. Mit ihnen verschwindet viel Wissen. Was wir jetzt dringend brauchen, sind junge Helfer“, sagte Mauff.
Das Team um Barbara Aehmlich sei auf die Hinweise zu Flurnamen und deren Bedeutungen angewiesen. Erst auf dieser Grundlage könne sie die Bedeutung der historischen Bezeichnungen entschlüsseln.
Laut Mauff ist das regionalgeschichtliche Erbe bedroht. Denn noch immer gebe es weiße Flecken in der Landschaft, während viele Flurnamen bereits in Vergessenheit gerieten – etwa wenn sich die Topografie oder die Nutzung ändere.