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Viele Politiker verlassen den Bundestag – teils nach Jahrzehnten

Die alte Garde verabschiedet sich: Zahlreiche bekannte Bundestagsabgeordnete treten nicht mehr an. Hinter ihnen liegen zum Teil mehr als 20 Jahre Parlamentsarbeit. Alle eint, dass sie selbstbestimmt gehen wollen.

28 Jahre war Hubert Hüppe Bundestagsabgeordneter. Und vier Jahre Behindertenbeauftragter der Bundesregierung. Jetzt ist Schluss. “Ich gehe mit gemischten Gefühlen”, sagt der CDU-Politiker. Er sei auch ein Stück erleichtert, um dann hinzuzufügen: “Es war aber auch mein Leben.” Wie Hüppe werden zahlreiche prominente, lang gediente Bundestagsabgeordnete das Hohe Haus verlassen. Für einige ist die Zeit gekommen, aber es spielen auch andere Motive mit in die Entscheidung hinein.

Für Hüppe ist es mit 68 Jahren der richtige Zeitpunkt, um aufzuhören. “Ich wollte selbst entscheiden, wann ich gehe”, sagt er im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Er werde sich sicher weiter politisch engagieren, auch wenn er sich ebenso auf mehr Freizeit und vor allem mehr Zeit mit den Enkeln freue. Doch so ganz ohne Politik – das gehe nicht. “Dann wäre ich fast tot”, räumt er augenzwinkernd ein.

Besonders schön sei für ihn die Zeit als Behindertenbeauftragter von 2009 bis 2013 gewesen, auch wenn es die anstrengendste Phase war. Inklusion, Teilhabe und auch Bioethik, das sind Hüppes Themen. Daher bereitet ihm der Ausblick auf die kommende Legislatur auch etwas Sorgen: “Bei den Themen Inklusion und Teilhabe gab es in den letzten Jahren eher einen Rollback”, sagt Hüppe.

Bei bioethischen Fragen wie dem assistierten Suizid, Schwangerschaftsabbrüchen oder der Leihmutterschaft hofft er, dass es keine faulen Kompromisse gibt. “Das Recht auf Leben ist nicht verhandelbar”, meint Hüppe, der gegen eine Liberalisierung der Abtreibungsregelung ist. Wie eine reproduktive Ausbeutung bei der Eizellspende und die Leihmutterschaft mit Feminismus vereinbart werden solle, sei ihm schleierhaft.

Der Bundestag wird sich 2025 verändern. Politisch, da die kommende Wahl das Verhältnis der Parteien durcheinanderwirbeln könnte. FDP, Linke, aber auch der Partei-Neuling BSW bangen um einen Einzug. Durch die Wahlrechtsreform wird der Bundestag zudem kleiner als der bisherige sein. Statt wie derzeit 736 soll er dauerhaft 630 Sitze haben. Auch Direktkandidaten, die ihren Wahlkreis eigentlich gewonnen haben, könnten infolge der Reform leer ausgehen. Womöglich bewegt diese Änderung den ein oder anderen “alten Hasen” oder auch “Frischling”, nicht erneut zu kandidieren.

Prominente “Abschiednehmer” neben Hüppe sind die ehemalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Ex-Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (beide CDU), Peter Ramsauer und Andreas Scheuer (beide CSU), Vize-Bundestagspräsidentin Petra Pau (Linke) oder Volker Wissing, der beim Ampel-Bruch aus der FDP ausgetreten war.

Renate Künast möchte nach eigenen Angaben Platz machen für Jüngere. Die Grünen-Politikerin und ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin ist seit 2002 Bundestagsabgeordnete. Mit ihren 69 Lebensjahren will sie Politikerin bleiben – wie und wo, ist noch offen. Zuletzt hatte sie für Aufmerksamkeit gesorgt, da sie juristisch erfolgreich gegen Beschimpfungen auf Facebook vorgegangen war.

Wut und Hass treiben den CDU-Politiker Marco Wanderwitz aus dem Bundestag. Er kandidiere nach 23 Jahren nicht mehr, um seine Familie zu schützen, erklärte er in einem Interview mit der “Freien Presse” im November: “Die Angriffe der brutalen Schreihälse sind immer heftiger geworden. Wir haben es als Zivilgesellschaft nicht geschafft, den Abgeordneten den Rücken zu stärken”, beklagt der Vater von vier Kindern. Auch seine Lebensgefährtin, Vize-Bundestagspräsidentin Yvonne Magwas, mit der Wanderwitz ein gemeinsames Kind hat, tritt nicht erneut an.

Bei Michael Roth war die Überraschung ebenfalls groß. Über X verkündete der SPD-Politiker seinen Rückzug aus dem Bundestag und der Politik im Zuge der nächsten Wahl – nach 27 Jahren. “Ich gehe selbstbestimmt und bin unendlich dankbar”, sagte der 54-Jährige in seinem X-Video. Ein altersbedingter Rücktritt ist es nicht. Genosse Roth hatte sich von seiner Partei schleichend entfremdet. “Wenn die Tür zum Fraktionssaal aufging, hatte ich zuletzt den Eindruck, ich steige in einen Kühlschrank”, so Roth in einem Interview. Zugleich räumte er ein, dass er öffentlich viel für seine Positionen zum Ukraine-Krieg gekämpft und dabei das Gespräch mit Parteikollegen vernachlässigt habe.

Bundespolitik ist ein aufreibendes Geschäft. “Wer einen Standpunkt hat, verliert auch mal Freunde”, meint Hüppe. Oder müsse Gegenwind aushalten. Vielleicht sei es manchmal karrierefördernder, sich nicht einzumischen und kontrazugeben. Aber ihm sei es immer darum gegangen, Politik zu machen und für seine Werteentscheidungen einzustehen.