Der rheinland-pfälzische Verfassungsgerichtshof in Koblenz wird Anfang April darüber entscheiden, ob die Mainzer Landesregierung gegen die AfD gerichtete Erklärungen veröffentlichen und zur Teilnahme an Protesten gegen die Partei aufrufen durfte. Das Organstreitverfahren der AfD gegen die frühere Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und die rheinland-pfälzische Staatskanzlei wurde am Freitag über drei Stunden lang verhandelt (AZ: VGH O 11/24). Gerichtspräsident Lars Brocker erklärte, auch das Konzept der wehrhaften Demokratie sei „keine Blankovollmacht für jede beliebe Erklärung“.
Ob und wie weit im Fall der AfD vom gesetzlich vorgeschriebenen Neutralitätsgebot abgewichen werden dürfe, ließ das Gericht zunächst offen. Allerdings deutete Brocker an, dass die rheinland-pfälzischen Verfassungshüter die Vorgaben durchaus streng auslegen.
Gegenstand des Rechtsstreits waren mehrere öffentliche Äußerungen in sozialen Netzwerken und Pressemitteilungen der Landesregierung aus dem Januar 2024 im Umfeld der Veröffentlichungen des Recherchenetzwerks Correctiv. Dessen Bericht über „Deportationspläne“ der AfD hatten bundesweite Proteste gegen die rechte Partei ausgelöst. In einem Instagram-Post hatte Dreyer beispielsweise geschrieben: „Die Politik der AfD und ihrer rechtsextremen Netzwerke macht ganz vielen Menschen in Deutschland Angst. Das dulden wir nicht.“ Die AfD hatte zunächst in einem Anwaltsschreiben die Abgabe einer Unterlassungserklärung gefordert und dann Klage eingelegt.
Regierungsvertreter hätten kein Recht, Oppositionsparteien mit NS-Vergleichen und ähnlichen Äußerungen zu bekämpfen, erklärte Partei-Anwalt Christian Conrad. „In einem freiheitlich-demokratischen Staat hat die Regierung nicht das Recht festzulegen, wer gut und wer schlecht ist.“ Dies gelte umso mehr, als die AfD der Correctiv-Darstellung von geplanten Massendeportationen sofort entgegengetreten sei. In seinem Schlusswort zum Ende der Verhandlung forderte er die Richter auf, ihr Urteil müsse unabhängig davon Bestand haben, welche Parteien gerade Regierung und Opposition bildeten.
Staatskanzleichef Fedor Ruhose (SPD) sagte in der Verhandlung, die Landesregierung habe nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, für die Grundsätze der Verfassung einzutreten. „Unsere Grundwerte geraten gerade ins Wanken“, warnte er. Nach Auffassung des Landes dürfen beim Kampf gegen Verfassungsfeinde auch in der Öffentlichkeit die Namen der jeweiligen Parteien genannt werden. Aufrufe zu Protesten seien im Vergleich zu einem Parteienverbot zudem das mildere Mittel. Als Beleg für die Gefährlichkeit der AfD führten die Vertreter des Landes Verfassungsschutzberichte und öffentliche Äußerungen von AfD-Politikern an, etwa über beabsichtigte „millionenfache“ Rückführungen von Zuwanderern. Dass der vielfach gerichtlich angegriffene Correctiv-Bericht eine Rolle für die Veröffentlichungen der Landesregierung gespielt habe, bestritten die Vertreter des Landes.
Die Frage, ob Regierungsbehörden und öffentliche Amtsträger mit Äußerungen die Rechte der Opposition beschränken, hat deutsche Gerichte in der Vergangenheit immer wieder beschäftigt. Zuweilen scheiterten Klagen, weil die Richter urteilten, dass Politiker-Äußerungen nicht in deren Eigenschaft als Amtsträger, sondern als Parteivertreter gefallen seien. Mehrfach wurden Regierungsvertretern aber auch bescheinigt, in unzulässiger Weise die Rechte von Oppositionskräften beschnitten zu haben. So hatte das Bundesverfassungsgericht 2022 Aussagen der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die AfD im Zusammenhang mit der Landtagswahl in Thüringen für unzulässig erklärt.