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Vater, Mutter, Urgrund der Liebe

„Herr, unser Gott“ – die Anrede Gottes im Gebet war lange Zeit sehr einseitig. Heute wird nach Formulierungen gesucht, die eine größere Vielfalt von Gottesbildern zeigen

© epd-bild / Jens Schulze

Guter Gott, barmherziger Gott, Vater im Himmel, lieber Herr Jesus – wer im Gottesdienst still die vorn gesprochenen Gebete mitbetet, bekommt eine Vielzahl von Anreden präsentiert. Manche klingen vertraut, andere ungewohnt; in einigen finden sich die Beterinnen und Beter wieder, andere lassen Unbehagen aufkommen und verhindern vielleicht sogar das weitere Mitbeten.
Wie reden wir Gott richtig an? Das Einfachste wäre ja, ihn beim Namen zu nennen. Aber da fängt das Problem schon an: Der „Name“ Gottes, bestehend aus den vier Konsonanten „JHWH“, ist zwar bekannt und wird im Alten Testament 6828 Mal erwähnt. Gleichzeitig ist jedoch im Judentum das Aussprechen verboten, um die Heiligung des Gottesnamens zu gewährleisten; denn jeder Gebrauch birgt auch die Gefahr eines Missbrauchs.
Die biblischen Autoren und Kopisten behalfen sich mit einem Trick: Die Konsonanten JHWH verbanden sie mit den Vokalen einer andere Gottesbezeichnungen, dem „Adonai“ (mein Herr). Über das Griechische, das den Gottesnamen bereits mit „kyrios“ übersetzte, wurde im Deutschen daraus „Herr“ – in der Lutherbibel groß geschrieben, um den Ursprung im hebräischen „JHWH“ zu verdeutlichen.
Damit war aber ein Gottesbild entstanden, das sehr einseitig die männliche und mächtige Seite Gottes hervorhob. Dies schlug sich naturgemäß auch in den Gebetsanreden nieder. Ein kurzer Blick ins Gesangbuch, das Gebetslieder aus mehr als 1000 Jahren überliefert, zeigt: 40 Lieder beginnen mit dem Anruf „Herr“; rechnet man noch „Kyrie“ hinzu, kommt man auf 49. Die Anrede „Jesu(s)“ kommt dagegen nur neunmal vor, „Gott“ achtmal, „Vater“ sogar nur viermal.
Diese Einseitigkeit des Gottesbildes wurde seit den 70er Jahren von der feministischen Theologie aufgezeigt und kritisiert. „Herr“ oder „Vater“ wird keineswegs von allen Frauen und Männern positiv wahrgenommen, so die Theologinnen. Nicht wenige verknüpfen damit Gewalt- oder Angsterfahrungen. Seitdem wird nach Bildern und Anreden gesucht, die Gott weniger auf die Aspekte von Männlichkeit und Herrschaft festlegen. „Gott, Vater und Mutter“, „Heilige Geisteskraft“ oder „Urgrund der Liebe“ sind Beispiele. Wirklich durchgesetzt haben sie sich jedoch bisher nicht. Nach wie vor halten viele Gläubige an den altvertrauten Sprachformen fest. Das mag ein Zeichen von geistiger Unbeweglichkeit sein; es ist aber auch ein Hinweis darauf, dass Menschen sich in sprachlichen Traditionen einrichten und zuhause fühlen. Eine Erfahrung aus dem Vikariat zeigt: Nicht alle sind begeistert, wenn die vertrauten Worte verändert werden. Der Taufsegen, der in blumiger Sprache Gott als Vater, Mutter und Geisteskraft beschrieb, kam nicht überall gut an. „Sowas brauch ich nicht“, flüsterte die Patentante ihrer Nachbarin zu. „Ein normaler Segen hätte es auch getan.“
Trotzdem bleibt die Frage, wie Gott im Gottesdienst angeredet werden sollte, damit jede und jeder Mitbetende in Gedanken mitgehen kann. Eine endgültige Lösung gibt es wahrscheinlich nicht. Zum einen verändert Sprache sich und wird zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich wahrgenommen; außerdem sind die Frömmigkeitsstile der Betenden nicht einheitlich. Wirklich alle mitzunehmen, ist daher schwierig. Hilfreich ist aber sicher Abwechslung: Im Gottesdienst gibt es mehrere Gebete; warum also nicht verschiedene Aspekte der göttlichen Wirklichkeit benennen – und dabei die Dominanz männlich geprägter Vorstellungen aufbrechen? Oder die Fürbitten mit jeweils unterschiedlichen Anreden beginnen lassen? Auch die Verbindung mit Adjektiven „gut“, „barmherzig“, „liebevoll“ oder „gerecht“ können die Anreden öffnen und vielfältiger machen. Letztlich aber geht es beim Beten nicht um die „richtige“ Anrede, sondern um das Wissen: Wir stellen uns als Menschen vor Gottes Angesicht; wir bitten, klagen, danken und loben und lassen uns von Gott verändern.

n Tipps für gerechten Sprachgebrauch im Gottesdienst gibt eine Handreichung der Evangelischen Kirche im Rheinland, die hier heruntergeladen werden kann: httwww.kircheundgesellschaft.de/frauenreferat/feministische-theologie/ Rubrik „Downloads“.