Muss eine medizinische Zwangsbehandlung immer im Krankenhaus stattfinden? Nein, urteilte nun das Bundesverfassungsgericht und lockert damit ein Detail der strengen Regeln. Doch große Hürden bleiben bestehen.
Medizinische Zwangsbehandlungen an Patienten müssen künftig nicht mehr zwingend stationär im Krankenhaus stattfinden. Die bisher geltende gesetzliche Regelung dazu sei verfassungswidrig und mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit unvereinbar, entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts am Dienstag in Karlsruhe. Der Gesetzgeber muss nun bis Ende 2026 ein neues Gesetz erlassen.
Die anderen, sehr hohen rechtlichen Hürden für eine Zwangsbehandlung bleiben von dem Urteil unberührt: So muss immer zuerst ein Betreuungsgericht der Behandlung zustimmen. Auch muss der rechtliche Betreuer des Patienten grünes Licht geben. Mediziner müssen nachweisen, dass die Behandlung dringend nötig ist, weil sonst schwere gesundheitliche Schäden drohen.
Betroffen von Zwangsbehandlungen, beispielsweise von der Zwangsgabe von Medikamenten, sind vor allem psychisch Kranke, Menschen mit geistiger Behinderung und Demenzpatienten. Jährlich werden geschätzte 4.000 Patienten ohne ihr Einverständnis zwangsbehandelt.
Ausgangspunkt des Verfahrens war die Klage einer an Schizophrenie erkrankten Frau. Die Patientin gab an, durch die erzwungene Krankenhauseinweisung für die zwangsweise Verabreichung von Medikamenten traumatisiert zu werden. Diese Behandlung fand einmal pro Monat statt. Ihr rechtlicher Betreuer forderte, sie stattdessen in ihrer gewohnten Umgebung, einer Wohneinrichtung für psychisch Kranke, zu behandeln.
Das Bundesverfassungsgerichts folgte dieser Argumentation, formulierte aber zugleich hohe Hürden für eine Zwangsbehandlung außerhalb von Kliniken. Diese seien nur in Einzelfällen möglich. So müsse immer eine gute medizinische Versorgung und eine Nachsorge garantiert sein, die “nahezu” das medizinische Niveau einer Klinik erreicht. In der Praxis dürfte dies nur bei bestimmten Wohneinrichtungen für psychisch Kranke, Behinderte oder Demenzkranke der Fall sein.
Die Entscheidung des Ersten Senats des Verfassungsgerichts fiel nicht einstimmig, sondern erging mit fünf zu drei Stimmen. Verfassungsrichter Heinrich Amadeus Wolff gab eine abweichende Einschätzung zu Protokoll: Er sieht die Gefahr, dass durch die Entscheidung die Schutzstandards bei Zwangsbehandlungen abgesenkt werden könnten.