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Unwort “Remigration”: “Eine Warnung an uns alle”

„Remigration“ ist zum Unwort des Jahres gekürt worden. Was halten Berliner Gemeinden von dem Begriff und dem politischen Diskurs darüber?

Zahlreiche Demonstrationen richten sich gegen rechtes Gedankengut.
Zahlreiche Demonstrationen richten sich gegen rechtes Gedankengut.epd-bild/Paul-Philipp Braun

„Remigration“ ist von einer unabhängigen Jury aus vier Sprachwissenschaftlerinnen und einer Journalistin zum Unwort des Jahres 2023 gekürt worden. Das Wort sei ein „rechter Kampfbegriff“ und eine „beschönigende Tarnvokabel“ für die Forderungen von Rechtsextremisten nach massenhaften Zwangsausweisungen und Deportationen, begründete die Jury in Marburg ihre Wahl. Der Begriff „Remigration“ wurde deutlich eher als Vorschlag an die Jury eingereicht als die Geheimtagung von Rechtsextremisten in einer Potsdamer Villa bekannt wurde, an der unter dem Begriff „Remigration“ die Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte nach Afrika diskutiert wurde.

Die Deutschlehrerin und Dolmetscherin Freweyni Habtemariam, die der eritreisch-orthodoxen Georgskirchengemeinde in Berlin angehört, begrüßt die Wahl. „Dieser beschönigende Begriff steht für Deportation, Zwang und millionenfaches Leid“, sagt sie auf Anfrage von evangelische-zeitung.de. „Man sollte genauer hinschauen, warum Menschen ihr Land verlassen. Die Diffamierung von Wirtschaftsflüchtlingen für Menschen, die nicht sofort einen Asylstatus bekommen, ist oft sehr ungenau.“

Klare Bischofsworte und Synodenbeschlüsse sind wichtig

Lukas Pellio, Pfarrer der evangelischen Studierendengemeinde in Cottbus, sagt: „Es geht jetzt darum, Faschisten von Regierungsverantwortung fernzuhalten. Klare Bischofsworte und Synodenbeschlüsse sind wichtig, aber werden nicht reichen.“ In jeder einzelnen Kirchengemeinde, so Pellio, „müssen wir laut, klar und mutig Position gegen Rechts beziehen. Schließen Sie sich bestehenden Bündnissen vor Ort an. Sollte es noch keine geben, gründen Sie welche.”

Die AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat mit Gunnar Lindemann schon länger einen Sprecher „für Migration und Remigration“. Der SPD-Abgeordnete Reinhard Naumann, der religionspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist, begrüßt deshalb ebenfalls die Juryauswahl. „Sie gibt uns Gelegenheit, diesen Begriff zu entlarven.“ Im Berliner Landesparlament könne man bei jeder Debatte, „selbst wenn es um Verkehrsprobleme geht, darauf warten, dass die AfD nach wenigen Sätzen die Schuld bei Flüchtlingen und Ausländern sucht“, so Naumann.

Jüdische Gemeinde: Drehen uns im Kreis der rechten Unwörter

Für Sergey Lagodinsky, Mitglied der Jüdischen Gemeinde Berlin und Europaabgeordneter für die Grünen, schließt sich mit der Wahl von „Remigration“ zum Unwort des Jahres ein Kreis, der 1991 mit „ausländerfrei“ begann. „32 Jahre drehen wir uns im Kreis der rechten Unwörter. Unsere Gesellschaft ist eigentlich viel weiter, aber die Unwörter bleiben, weil die rechte Grundmusik unsere Debatten weiterhin begleitet“, sagt er.

„Diese Un-Musik ist mittlerweile lauter denn je. Abschnittsweise weit über 30 Prozent! Dieses Jahr ist wieder eine Erinnerung daran, wie harmlos und technokratisch das Ende einer Demokratie vorausgesprochen werden kann. Insofern – 32 Jahre Warnungen wie Sprache der Gegenwart den Untergang der Zukunft voraussagen kann. Eine Warnung an uns alle.“