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Unentgeltliche Arbeit fällt vielfach unter den Tisch

Gutachten nennt konkrete Schritte zur Beseitigung der Benachteiligung von Frauen und Männern

 

Die Bundesregierung legt einmal in jeder Legislaturperiode einen Bericht zur Gleichstellung von Frauen und Männern vor. Der Erste Gleichstellungsbericht 2011 enthielt eine umfassende Analyse der Situation der Gleichstellung der Geschlechter in Deutschland. Zentrale Bedeutung hat hierbei die Lebenslaufperspektive. Gleichstellungspolitik soll Frauen und Männer konkret in ihren jeweiligen Lebenssituationen unterstützen. Hier knüpft das Gutachten zum Zweiten Gleichstellungsbericht an. Es benennt konkrete Schritte zur Beseitigung bestehender Nachteile.
Zentrales Thema ist die gleichstellungsorientierte Gestaltung von Erwerbs- und Sorgearbeit. Erwerbs- und Sorgearbeit – bezahlt und unbezahlt – werden zusammengedacht. Sorgearbeit meint alle Tätigkeiten der Pflege, Zuwendung und Versorgung für sich und andere. Da Frauen um 52 Prozent mehr unbezahlte Sorgearbeit verrichten als Männer („Gender Care Gap“), wird somit ein wesentlicher Teil der von Frauen geleisteten Arbeit ökonomisch ausgeblendet. Staatliche Regelungen, Politik, Recht und Gesellschaft folgen bestimmten Leitbildern von Geschlecht und Arbeitsteilungen (Familienernährer, Zuverdienst). Hierzu wird als eine neue Variante das „Erwerb-und-Sorge-Modell“ vorgeschlagen: Es sollen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es ermöglichen, gleichberechtigt an der Erwerbsarbeit teilzuhaben, ohne dafür auf private Sorgearbeit verzichten zu müssen.
Dazu gehören: eigenständige wirtschaftliche Sicherung durch gleichberechtigte Integration in die Erwerbsarbeit; eigenständige wirtschaftliche Sicherung durch soziale Absicherung für unbezahlte Sorgearbeit; Eigenständige wirtschaftliche Sicherung im Alter; partnerschaftliche Geschlechterverhältnisse und Auflösung von Geschlechter­stereotypen; gleiche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit unabhängig vom Geschlecht; Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit, Sorgearbeit und gutem Leben; qualitativ hochwertige und (auch finanziell) zugängliche Betreuungs- und Pflegestruktur; gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit; Abbau von Diskriminierung und Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt; Sorgearbeit als Gleichstellungsthema.
Die Sorgeberufe, gebündelt unter dem Begriff SAHGE (Soziale Arbeit, Haushaltsnahe Dienstleistungen, Gesundheit, Erziehung), haben aktuell einen Arbeitsmarktanteil von rund 18 Prozent. 80 Prozent der hier Beschäftigten sind weiblich.
Die Sachverständigenkommission empfiehlt: Erarbeitung einer zusammenhängenden Strategie zur Aufwertung der erwerbsförmigen Sorgearbeit; bessere Bezahlung von Sorgearbeit; Reformierung der Aus- und Weiterbildung in SAHGE-Berufen; gute Arbeitsbedingungen in der Kinderbetreuung und -erziehung, in der Pflege sowie in haushaltsnahen Dienstleistungsberufen.
Arbeitgeber und Sozialpartner werden aufgefordert, durch ihre Arbeitsorganisation und Unternehmenskultur die Gleichstellung voranzubringen. Als Themen werden genannt: flexible Arbeitszeiten und -orte, mobiles Arbeiten.
Unter der Überschrift „Finanzielle Unabhängigkeit und Partnerschaftlichkeit ermöglichen“ geht es um finanzielle und steuerliche Aspekte: Ehegattenbesteuerung, die beitragsfreie Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung in Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften sowie die rechtliche Sonderstellung von Minijobs und auch den gesetzlichen Güterstand im Ehegüterrecht. Dazu gehören die Forderung nach Abschaffung der Steuerklasse V, ein eigenständiger Zugang zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. (Einzelheiten hierzu enthält Themenblatt 5 des Gutachtens.)
Gleichstellungspolitik wird nicht als Interessenspolitik für jeweils spezifische Belange von Männern oder Frauen verstanden, sondern es geht um die Verwirklichungschancen verschiedener Lebensentwürfe und Lebensleistungen. Dazu gehört, dass Belange, Bedarfe und geschlechtsbezogene Benachteiligungen von Männern in der Gesellschaft identifiziert und beseitigt werden.
Folgende Themen werden hierbei aufgegriffen: Berufswahl, Berufseinstieg (Abbau von Geschlechtsstereotypen bei der Berufswahl, Männer in männeruntypischen Berufen), Berufsentwicklung und Arbeitszeiten (Erwerbsarbeitszeiten vieler Männer lassen nicht viel Zeit für Fürsorgever­antwortung zu), Männer als Väter, als Pflegende und Gepflegte, Männer im Kontext von Flucht und Mi­gration, Männer und das Erwerb- und Sorge-Modell.
Fazit: Das Gutachten zum Zweiten Gleichstellungsbericht hebt zu Recht die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Sorgearbeit und den Zusammenhang zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit hervor. Um das vorgeschlagene „Erwerb- und Sorgemodell“  und die übrigen Forderungen verwirklichen zu können, wären erhebliche  finanzielle Aufwendungen nötig. Es bleibt abzuwarten, ob dies politisch gewollt und durchsetzbar ist.

– Gutachten abrufbar unter www.gleichstellungsbericht.de.

 

Sylvia Bachmann-Breves ist Juristische Referentin und Gleichstellungsbeauftragte im Fachbereich Frauenreferat des Instituts für Kirche und Gesellschaft in Villigst.