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Uhrmacherin Rebecca Struthers erzählt, wie man die Zeit misst

Sie sind Wunderwerke der Technik. Für die britische Uhrmacherin Rebecca Struthers ist die Erfindung der Uhren so wichtig wie die Erfindung des Buchdrucks. Eine Liebeserklärung an ein aussterbendes Handwerk.

Echte Männer trugen zu Beginn des 20. Jahrhunderts Taschenuhren. Damit die Uhren nicht zu Schaden kamen, brachte Levi Strauss 1873 sogar eine kleine Tasche vorne rechts auf seiner berühmten 501 Jeans an. Das erzählt die englische Uhrmacherin und Historikerin Rebecca Struthers in ihrem neuen Buch “Uhrwerke”. Mittlerweile ist die kleine Tasche an der Jeans überflüssig geworden. Denn heute tragen Männer und Frauen Armbanduhren – meistens als Smartwatch.

Kriege wie auch Notlagen sind die Mutter aller Erfindungen, denn sie bringen unerwartete Lösungen für ungeahnte Probleme hervor, stellt Struthers fest. Im Ersten Weltkrieg (1914-1918) waren das neben Blutbanken, Edelstahl, Panzern und Drohnen nach Angaben der Autorin auch Armbanduhren. Der Grund: Bei den Kämpfen an der Westfront mussten die Angriffe synchronisiert werden. Also brauchte man genaue Zeitmesser.

Nur war es reichlich unpraktisch, beim Robben in den Schützengräben die Taschenuhr hervorzuziehen. Die Lösung war eine sogenannte Grabenuhr für das Handgelenk, die mit Drahtösen versehen war, an denen ein Armband und ein Schrapnellschutz für das Uhrglas befestigt werden konnten, erzählt die Uhrmacherin und Historikerin.

Und wie konnten die Soldaten im Schützengraben ihre Uhr lesen, wenn es dunkel war? Man bemalte die Ziffern mit Radium-Leuchtfarbe. Die allerdings war radioaktiv, und so strahlten die Zifferblattmalerinnen grün, wenn sie abends die Fabrik verließen. Anfangs habe es keine Sicherheitsbedenken gegeben, so Struthers, im Gegenteil, den Frauen wurde erzählt, Radium sei gut für sie.

Ein fataler Irrtum: In den USA malten die Frauen die Zahlen mit einem Pinsel auf, den sie mit den Lippen in Form brachten, erzählt Struthers. Die Folge: Sie bekamen von der radioaktiven Farbe Blutvergiftungen, Krebs oder eine Kiefernekrose, ihnen fielen die Zähne aus und die Kieferknochen brachen.

In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen wurden die Uhren immer besser, nach dem Zweiten Weltkrieg gerieten sie zur Massenware. Struthers spricht mit Schmerz von der Quarz-Krise für das Uhrmacherhandwerk ab den 1970er Jahren: Auf einmal wollte alle Welt Quarzuhren mit Digitalanzeige besitzen – ohne die ausgefeilte Mechanik. Aktuell, so schreibt die Autorin, seien diese Uhren schon wieder durch die Smartwatches überholt, die Struthers für übergriffig hält.

Ihr Herz schlägt für das traditionelle Uhrmacherhandwerk. 2017 wurde Rebecca Struthers die erste Uhrmacherin in der britischen Geschichte, die einen Doktortitel in Uhrmacherei erwarb. Seit 2012 führt sie zusammen mit ihrem Mann Craig in Birmingham eine Manufaktur, in der sie mit historischen Geräten und traditionellen Handwerkstechniken Uhren aus den letzten fünf Jahrhunderten restauriert, aber auch mechanische Uhren von Grund auf neu herstellt. Ihr aktuelles Uhr-Projekt trägt die Zahl 248: sie steht für zwei Köpfe, vier Hände und eine Acht-Millimeter-Uhrmacherdrehmaschine.

Was macht alte Uhren so faszinierend? Tragbare Uhren wie Armband- oder Taschenuhren sind ein Wunderwerk der Technik, so Struthers. Mechanische Uhren gehören ihrer Ansicht nach zu den effizientesten Maschinen, die je erfunden wurden. Die komplizierteste Uhr der Welt bestehe aus fast 3.000 Bauteilen, habe rund 50 Funktionen und könne den gregorianischen, hebräischen, astronomischen und den Mondkalender anzeigen sowie natürlich auch Stunden und Minuten schlagen. Und das alles in einem Gerät, das in einer Handfläche Platz habe, schwärmt die Uhrmacherin.

Struthers erzählt, dass selbst Leute, die sich nicht als Uhrenliebhaber betrachten, wertvolle geerbte Uhren restaurieren lassen. “Wenn wir auf das Zifferblatt einer alten Uhr schauen, sehen wir dieselben Zeiger an den Stunden und Minuten vorbeigehen, die auch unsere Eltern, Großeltern und Urgroßeltern schon sahen, hören wir dasselbe Ticken, das auch sie schon hörten, als sie die vergehenden Momente ihres Lebens bemaßen”, sagt Struthers.

Die Wertschätzung für Vintage-Uhren führt übrigens dazu, dass mittlerweile wieder Uhrmacher gesucht werden. Nach Angaben des Uhrenportals TrustedWatch haben sie derzeit beste Berufschancen.