Falsche Diagnosen, sexistische Kommentare, sexuelle Übergriffe: Unter dem Hashtag #FrauenbeimArzt klagen Patientinnen über erschreckende Erfahrungen in Arztpraxen. Jacqueline R. berichtet dort auf der Internetplattform X (früher Twitter), dass sie wegen Herzrasens immer wieder einen Kardiologen aufgesucht habe. Dieser habe die Symptome den Wechseljahren zugeordnet. Später hätten sich Schilddrüsenprobleme als wahre Ursache herausgestellt.
Eine Frau namens Theresia schreibt: „Mir wurde jahrelang gesagt, dass meine Schmerzen normal für eine Frau sind oder ich mir das einbilde. Zu dem Zeitpunkt konnte ich nur noch mit Opiaten schlafen oder essen. Später wurde dann Endometriose diagnostiziert.“ Bei Endometriose handelt es sich um krankhafte Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut.
Unter dem Hashtag #FrauenbeimArzt teilen Frauen Erfahrungen
Das sind nur zwei der Erfahrungen, die Frauen unter dem Hashtag #FrauenbeimArzt auf der Plattform X mitteilen. Die Aussagen der Frauen, die sich nicht mit ihrem Klarnamen outen, können nicht ohne Weiteres auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden.
So sah ich nach einer Kinderwunschbehandlung aus!
Mir wurde der Kopf auf die Liege gedrückt und mit den Worten „Wenn du jetzt nicht den Mund hälst, schieb ich dich aus dem OP raus“ wurde ich in die Narkose geschickt #frauenbeimarzt pic.twitter.com/HOwWGEDHSv— Katrin Peter (@KatrinPeter6) May 25, 2022
Die Nutzerin „Joanalistin“ hat im Januar 2022 die Debatte auf #FrauenbeimArzt mit einem Aufruf angestoßen: „Ich würde gerne sichtbar machen, welche sexualisierten oder erniedrigenden Erfahrungen Frauen bei ihren Arztbesuchen erlebt haben“, schrieb sie auf ihrem Account und forderte andere Frauen auf, ihre Erfahrungen unter dem Hashtag #FrauenbeimArzt zu teilen.
Berichte von sexuellen Übergriffen und sexistischen Kommentaren
Viele Frauen seien dem Aufruf nachgekommen und hätten sowohl von sexuellen Übergriffen und sexistischen Kommentaren berichtet als auch von Fehldiagnosen und dem Gefühl, mit ihren Symptomen nicht ernst genommen zu werden. Als Feedback habe sie Tausende Kommentare und viele Privatnachrichten erhalten, teilte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit. Die Tweets werden laut „Joanalistin“ auch an Unikliniken diskutiert.
Einer britischen Studie aus dem Jahr 2015 zufolge warten Frauen bei sechs von elf Krebsarten länger auf eine Diagnose als Männer. Dies könne daran liegen, dass Frauen unterschiedliche Symptome bei derselben Krebsart aufweisen, aber lediglich die Symptomatik bei männlichen Patienten bekannt sei, heißt es in der Untersuchung. Experten sprechen vom sogenannten „Gender Health Gap“. Der Begriff beschreibt systematische geschlechtsspezifische Unterschiede in der Gesundheitsversorgung – zum Nachteil der Frauen: Sie erhalten oft schlechtere gesundheitliche Ergebnisse und weniger angemessene medizinische Versorgung als Männer.
Wunsch nach geschlechtersensibler Medizin
Christiane Groß ist Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, der sich für die Belange von Ärztinnen und für eine geschlechtersensible Medizin einsetzt. Dass Frauen häufiger als Männer unter einer Ungleichbehandlung in der Medizin leiden, hat für sie einen klaren Grund: „Hauptsächlich hat das damit zu tun, dass Wissenschaft lange Zeit vorwiegend durch Männer vorangetrieben wurde. Auch heute noch sind in vielen Bereichen der Wissenschaft mehr Männer als Frauen zu finden, wodurch oft auch der Blick der weiblichen Seite fehlt“, erklärt Groß.
„Es war üblich, zu denken, was beim Mann erforscht wurde, passt auch zur Frau. Hormonzyklen wie bei der Frau stören. Schwangerschaften sind Hindernisse.“ Erst seit den 1990er Jahren finde ein Umdenken statt, sagt die Fachärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapie und ärztliches Qualitätsmanagement.
Gendermedizin in der Forschung und in der Klinik verankern
Groß bedauert, dass „sich zu wenige Menschen trauen, ihren Arzt oder ihre Ärztin zu fragen, ob die Dosierung der Medikamente auch für die jeweilige Person stimmt. Ich denke, je mehr es von den Patienten und Patientinnen eingefordert wird, umso schneller wird geschlechtersensible Medizin umgesetzt.“