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«Über die Autobahn wird nicht gesprochen»

Vor einem Jahr besetzten Umweltschützer den Dannenröder Forst, um den Weiterbau der A49 zu verhindern. Jetzt wird die Autobahn gebaut, und die meisten Aktivisten haben die Region verlassen. War der Widerstand umsonst?

Homberg/Ohm (epd). Sie sind fast alle weg. Nur ein kleines Grüppchen aus zehn, maximal 20 jungen Umweltaktivisten wohne noch in einer ehemaligen Gaststätte am Rande des Ortes Dannenrod, erzählt Christa Seim. Vor einem Jahr machten die Waldbesetzer im Dannenröder Forst in Mittelhessen mit ihrem Protest gegen den Weiterbau der A49 bundesweit Schlagzeilen. Doch am 8. Dezember 2020 räumte die Polizei das letzte Camp im Wald, und der Weg für die Autobahn zwischen Kassel und Gießen war endgültig frei.

   Seim, die in einem Dorf an der Trasse der neuen Autobahn wohnt und seit Jahrzehnten gegen den Weiterbau kämpft, hat ein Buch über die Waldbesetzung geschrieben. «Ich wollte den Geist des Widerstands und der Solidarität festhalten.» Die Umweltschützer seien teilweise «kriminalisiert» worden, kaum jemand habe gesehen, wie recht sie mit ihrem Widerstand hatten, es seien «vernünftige Leute» gewesen. «Viele ganz junge Mädchen waren da, die sicher seelische Blessuren
davongetragen haben.»

   Mehr als ein Jahr lang hatten Umweltaktivisten Teile des Dannenröder Waldes besetzt, hatten abenteuerliche Holzkonstruktionen hoch oben in den Baumkronen gebaut, auf den Waldwegen Barrikaden aufgestellt. Doch mit Beginn der «Rodungssaison» im Wald starteten am 1. Oktober 2020 die Baumfällungen für die neue Autobahn.

   Täglich waren 2.000 Polizisten aus ganz Deutschland im Einsatz, sie räumten mehrere hundert Barrikaden und Holzhäuser, holten hunderte Menschen aus den Bäumen. Es gab Verletzte. Es gab Angriffe auf Polizisten mit Steinen, Flaschen, Fäkalien oder Zwillen, und die Beamten ihrerseits setzten Schlagstöcke, Pfefferspray und Wasserwerfer ein.

   Der Autobahnbau, der auf Planungen aus den 1960er Jahren zurückgeht und jahrzehntelang stockte, spaltet die Region bis in die Dörfer hinein. Noch immer. «Die Atmosphäre hier ist genervt, frustriert, abwartend», sagt Ralf Müller, Referent beim Evangelischen Dekanat Vogelsberg. «Das Miteinander funktioniert unter Aussparen des Themas.» Der örtliche Pfarrer berichte von «zarten Pflänzchen», die wachsen: Der Singkreis probt wieder, der Posaunenchor trifft sich. «Es gibt aber das Agreement: Über die Autobahn wird nicht gesprochen.»

   Derweil wird gebaut. Auf dem insgesamt 31 Kilometer langen Teilstück entstünden aktuell Talbrücken und eine Autobahnmeisterei, erklärt eine Sprecherin der «A 49 Autobahngesellschaft». Alle Bauarbeiten sollen im Herbst 2024 «planmäßig abgeschlossen» werden. «Nennenswerte Verzögerungen durch Demonstrationen oder Aktionen von Autobahngegnern gibt es nicht.»

   Noch immer treffen sich Autobahngegner zu «Sonntagsspaziergängen» im Dannenröder Wald. Es gebe weiter Widerstand, sagt Christa Seim, «doch wenn man der Wahrheit ins Auge sieht: Wir ärgern die ein bisschen, aber es geht in rasanten Schritten voran.» Die restlichen Aktivisten planten, einen alten Gasthof am Dannenröder Ortsrand zu kaufen, um dort eine «sozial-ökologische und klimagerechte Transformation» zu erproben, wie sie auf einer Internetseite schreiben. Christa Seim und Ralf Müller räumen dem Projekt wenig Chancen ein.

   Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Mittelhessen beschreibt die Lage an der Autobahn als «sehr ruhig». Es seien kaum Aktivisten vor Ort, im Grunde sei mit der Räumung des letzten Baumhauses vor einem Jahr der Protest vorbei gewesen.

   Juristisch geht es allerdings weiter: 450 Straftaten waren laut Polizei im Zusammenhang mit der Waldbesetzung angezeigt worden. Im Januar 2022 beginnt vor dem Landgericht Gießen ein Berufungsverfahren gegen eine Aktivistin, die sich «Ella» nennt. Wie viele Strafverfahren im Zusammenhang mit der A49 noch laufen, könne er nicht sagen, erklärt ein Sprecher der Gießener Staatsanwaltschaft. Es gebe keine statistische Erhebung.

   War der ganze Widerstand umsonst? Ralf Müller vom Evangelischen Dekanat sagt nachdenklich: «Vielleicht war es das letzte Mal, dass in Deutschland ein gesunder Wald für ein Verkehrsprojekt geopfert wurde.» Das «Menetekel Dannenrod» schwebe über allen künftigen Projekten.