Artikel teilen:

Über den Jordan und zurück

Von Anke von Legat

Über den Jordan bin ich bisher nicht gegangen. Dabei hätte ich es gar nicht weit: Mitten durch das westfälische Städtchen Bad Lippspringe fließt nämlich ein Fluß dieses Namens, und nette kleine Brücken erlauben es sogar, ihn trockenen Fußes zu überqueren.
Wie der idyllische Fluss wohl zu seinem Namen gekommen ist? Jedenfalls findet man an seinem Ufer keinen Hinweis auf die dunkle Bedeutung der Redewendung „über den Jordan gehen“, die so viel wie „kaputtgehen“ oder auch „sterben“ bedeutet.
Der Namensgeber für dieses sprichwörtliche Geschehen liegt denn auch nicht in Westfalen, sondern in Palästina. Im Buch Josua wird erzählt, wie die Israeliten den Jordan überwinden mussten, um endlich das Gelobte Land zu erreichen. Gestorben ist dabei niemand – vermutlich dank eines Wunders, bei dem Gott das Wasser im Fluss stillstehen ließ. Der Zug über den Jordan, so berichtet die Bibel, ging also ebenfalls trockenen Fußes.

Das Thema Tod kam erst später hinzu. Die christliche Tradition setzte das Gelobte Land mit dem Himmelreich gleich – ein Bild für das Leben nach dem Tod, das sich die Christen erhoffen. Und der Weg dahin führt, jedenfalls symbolisch gesehen, über den Jordan (siehe auch Seite 10) – ob ins Heil oder ins Verderben, bleibt in der Redewendung ungewiss.
Der bekannt Gospel „Swing low, sweet chariot“ berichtet jedenfalls tröstlich von herbeifliegenden Engelsscharen, die man beim Blick über den Jordan zu Gesicht bekommt. Das wird beim Besuch in Bad Lippspringe vielleicht nicht passieren. Aber das Schöne ist: Anders als im Sprichwort, kommt man dort zurück ans ursprüngliche Ufer.