Die scharfen Urteile gegen fast vierzig Oppositionelle haben in Menschenrechtskreisen in Tunesien scharfe Kritik hervorgerufen. „Dieser Prozess ist eine Beleidigung der Intelligenz, eine Ohrfeige für das Recht und Spucke ins Gesicht des Rechtsstaats“, schrieb Kamel Jendoubi, ehemaliger tunesischer Menschenrechtsminister und früherer Leiter einer UN-Menschenrechtskommission für den Jemen, auf dem sozialen Netzwerk Facebook. Er war selbst in dem Verfahren angeklagt, sein Fall und der zweier weiterer Angeklagter wurde jedoch während der laufenden Verhandlung am Freitag in ein eigenes Verfahren ausgelagert.
In dem Verfahren wurden Strafen von bis zu 66 Jahren Haft verkündet, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur TAP am Samstag. Angeklagt waren ursprünglich 40 Personen, darunter Anwälte, Oppositionspolitiker, Geschäftsleute und Medienschaffende. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, den Sturz von Präsident Kais Saied geplant zu haben.
Sechs prominente Oppositionelle wurden bereits im Februar 2023 festgenommen. Sie saßen seitdem in Untersuchungshaft. Sie habe nur eine Frage, so Dalila Ben Mbarek Msaddek, Anwältin und Schwester eines der Hauptangeklagten, am Sonntag: „Wenn die Akte seriös, echt und vollständig ist und Beweise enthält, warum haben die Behörden dann all ihre Macht und ihren gesamten Apparat eingesetzt, um all das zu vertuschen?“
Am Freitag war vor einem Gericht in der tunesischen Hauptstadt Tunis das Verfahren mit dem dritten Prozesstag zu Ende gegangen. Es ist davon auszugehen, dass die Verteidigung Anfang kommender Woche Berufung einlegen wird.
Das Verfahren war von Intransparenz geprägt. In den drei Sitzungen des Gerichts seit Anfang März wurde weder die ganze Anklageschrift verlesen, noch kamen die Angeklagten zu Wort. Der Prozess widerspricht nach Einschätzung der Anwälte der Angeklagten jeglichem rechtmäßigen Vorgehen. Sie prangerten am Freitag mehrere Verletzungen der Strafprozessordnung an.
Nach nur 30 Sekunden Verhandlung über den Inhalt habe der Vorsitzende Richter entschieden, dass das Gericht ein Urteil fällen werde. Die Familien und Anwälte der Inhaftierten argumentieren, das Verfahren diene dazu, ein Exempel zu statuieren und kritische Stimmen einzuschüchtern. Die Anklage fuße ausschließlich auf Falschaussagen anonymer Zeugen, die Vorwürfe seien haltlos.
Außerdem wurde am Freitag unter nahezu komplettem Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Nur ein Angehöriger pro Angeklagten wurde zugelassen. Etlichen tunesischen und ausländischen Medienschaffenden, Vertretern der Zivilgesellschaft und Diplomaten wurde von Sicherheitskräften der Zugang zum Gericht verwehrt.
In Tunesien regiert Staatschef Saied seit seiner Wahl zum Präsidenten im Jahr 2019 zunehmend mit harter Hand. Die Opposition, zivilgesellschaftliche Organisationen und Medienschaffende stehen unter Druck. Zuletzt hatte „Human Rights Watch“ das Vorgehen der tunesischen Regierung gegen die Opposition kritisiert. Durch willkürliche Inhaftierungen sollten Kritiker zum Schweigen gebracht werden, monierte die Menschenrechtsorganisation in einem Bericht. Mehr als 50 Personen waren demnach Stand Januar 2025 aus politischen Gründen oder wegen der Ausübung ihrer Rechte inhaftiert.