Der Traumatherapeut Christian Lüdke betreut Opfer des Anschlags in Magdeburg. Trotz einer “gefühlten” Gefahr rät er dazu, sich nicht von Anschlägen – wie jetzt in München – einschüchtern zu lassen.
Nach dem mutmaßlichen Anschlag in München warnt der Traumatherapeut Christian Lüdke davor, sich Angst machen zu lassen. Statistisch gesehen sei es immer noch wahrscheinlicher, vom Blitz getroffen oder von einer Kuh getötet zu werden, als bei einem Anschlag ums Leben zu kommen. “Aber es gibt natürlich eine gefühlte Wahrheit”, räumt der Therapeut ein. Lüdke ist spezialisiert auf Notfallhilfe und betreut aktuell Opfer des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg im vergangenen Dezember.
Durch Nachrichten und Soziale Netzwerke bekämen Menschen heutzutage nahezu in Echtzeit Bilder auch von solchen Taten zu sehen. “Deshalb kommen uns solche Erlebnisse emotional sehr nahe”, sagt Lüdke – auch wenn sie geografisch weiter entfernt seien. Ein weiterer Grund, aus dem sich Menschen von den Attacken bedroht fühlten, sei ihre tief verankerte DNA als “Herdentier”. “Wenn bei Ereignissen – seien es Anschläge, Flugzeugabstürze oder Naturkatastrophen – zeitgleich viele Menschen getötet werden, also ein Teil unserer Herde, dann macht uns das Angst. Dann fühlen wir uns selbst bedroht.”
Es sei die Strategie von Terroristen, das grundlegende Sicherheitsgefühl von Menschen zu zerstören. Lüdke ermutigt: “Man darf sich, so schrecklich wie es ist, aber nicht verrückt machen lassen.” Man solle weiterhin rausgehen, demonstrieren oder Karneval und Fasching feiern. “Der Blick muss nach vorn gerichtet bleiben”, betont Lüdke, der zuletzt das Buch “Profile des Bösen” zum Thema geschrieben hat.
Studien zufolge würden sich rund zwei Drittel der Menschen nicht einschüchtern lassen, während andere nach solchen Ereignissen lieber zu Hause blieben. “Das hat mit der privaten und beruflichen Situation zu tun. Wenn Sie mit sich zufrieden sind, verarbeiten Sie so etwas schneller und sind gut geschützt.” Ein Risikofaktor seien aber vorige Traumatisierungen wie Unfälle oder erlebte Einbrüche, die getriggert werden könnten und zu Unsicherheit führten.
Der Traumatherapeut rät Menschen, die das Gefühl haben, es werde ihnen zu viel, zum Abschalten. “Es ist in Ordnung, dann keine Nachrichten zu lesen oder zu sehen.” Ebenso dürfe man sich ablenken, “denn wir brauchen genug Kraft, um weiter zu machen und auch anderen helfen zu können.” Von der Politik wünscht sich der Therapeut, mehr Mut zuzusprechen. “Ich habe tagtäglich mit Menschen zu tun, die traumatisiert sind. Was sie brauchen, ist die unmittelbare Anwesenheit einer stabilen Person, die Hoffnung und Zuversicht vermittelt.”