4Predigttext zur Erprobung im Rahmen der Perikopenrevision:
Apostelgeschichte 2, 41-47 (in Auswahl)
1 Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen. 42 Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. 43 Es kam aber Furcht über alle Seelen und es geschahen auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. 44 Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. 45 Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. 46 Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen 47 und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.
Wie in einem Traum, so überzogen und unecht, fast kitschig kommt die Beschreibung der christlichen Gemeinde in der Apostelgeschichte daher!
Massentaufen, durchgehende Einigkeit und Überzeugung in der Lehre. Falls Angst und Unsicherheit aufkommen, geschieht sofort ein passendes Wunder. Die Apostel stehen an der Spitze, Pfingsten ist noch nicht lange her. Sie machen alles zusammen: Beten, essen und feiern, Gotteslob – das ganze Leben in Einheit. Und der Rest der Welt schaut wohlwollend auf diese Menschenschar.
Wenn ich unsere Gemeinden mit westfälischem Realismus betrachte, dann rückt dieses Traumbild in weite Ferne.
Sogar meilenweit haben wir uns entfernt, vom großen Ideal, das uns hier ausgemalt wird. Wäre es nicht herrlich, wenn wir sichtbar wachsen würden? Wenn alle begeistert wären und sich einmütig im Gottesdienst versammelten? Nicht nur das Abendmahl, sondern unser ganzer Besitz – ja, das ganze Leben würde gerecht mit allen geteilt. Kein Streit, keine schiefen Blicke von außen. Die Gemeinde als große und glückliche Familie?
Stattdessen werden die Gemeinden kleiner. Und es wird getrauert um die gute alte Zeit des Reichtums und des Wohlwollens von allen Seiten.
Aus, der alte Traum, aufgewacht! Jede Gemeinde gestaltet ihre Realität. Welche Familie kommt schon ohne Konflikte aus? Vielfalt statt Einmütigkeit zeichnet die Kirche heute aus. Eine Form der Gemeinschaft im ständigen Wandel. Und neue Träume sind entstanden.
Der eine träumt seine Gemeinde groß und mächtig. Offen und freundlich soll sie sein, aber auch laut und kämpferisch, wenn es sein muss. Ein anderer träumt von einem Zuhause, klein und gemütlich, fromm und verlässlich, manchmal auch bunt und fröhlich. Der nächste Traum sieht wieder ganz anders aus: Schlicht und nachdenklich soll die Gemeinde sein, leise und friedlich, ein Ort der Begegnung mit Gott. Wieder andere suchen nach ungewöhnlichen, neuen Plätzen. Sie träumen von wilden Experimenten, wollen testen und spielen.
Fest steht: Wir sind nicht mehr einmütig im Tempel, aber wir sind immer noch Viele, auch wenn wir 13 statt 3000 taufen. Wie können die neuen Träume zur Wirklichkeit werden?
Auch wenn Pfingsten lange vorbei ist, bestimmte Dinge haben sich erhalten. Wir feiern Gottesdienste in unseren Kirchenhäusern, wir teilen Brot und Wein und essen zusammen. Wir teilen unsere Ängste und Sorgen und hoffen zusammen auf Wunder. Wir glauben an Gott, unseren Retter.
Von den vielen Träumen müssen wir uns erzählen und Raum dafür schaffen, dass möglichst viel davon wahr wird. Einmütigkeit um jeden Preis kann kein Traum mehr für uns sein. Denn wo wir uns zur Einheit zwingen, wird das ehrliche Gespräch verstummen. Wo sich Gemeindeglieder verbiegen, um einem alten Ideal zu genügen, da finden sie sich in einem Alptraum wieder. Ich träume von Gemeinde, die liebevoll kämpft und streitet, um die Träume ihrer Menschen zu verwirklichen. Veränderung und Auseinandersetzung miteinander werden zum Segen!
Die Gemeinschaft aus der Apostelgeschichte hat die Zeit überdauert. Wir sind anders, aber immer noch da! Das gibt Mut für ein neues Selbstbewusstsein. Es werden die zusammenfinden, deren Träume ähnlich sind, oder sich ergänzen. Es werden die zusammenfinden, deren Träume sich gegenseitig auf gute Weise verändern. Es werden die von uns beieinander bleiben, die mutig auf die Einmütigkeit verzichten.