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Tischstreit Ludwig gegen Ludwig

In Wittgenstein greift die Reformation erst, als Margarete von Henneberg-Schleusingen Graf Johann VII. ehelicht und in der Kapelle des Berleburger Schlosses den evangelischen Gottesdienst einführt. Was dann folgt, lässt nicht nur schmunzeln

Aus der Reformationszeit sind aus dem Wittgensteiner Raum einige denkwürdige Geschichten überliefert. Im Rückblick lassen manche heute eher schmunzeln. So wohl auch die, als in Elsoff ein schlichter Holztisch zum Politikum wird, der schließlich die Obrigkeit in ihrer ganzen Machtfülle auf den Plan ruft.
Zum besseren Verständnis der Geschehnisse und ihrer Umstände sei zunächst eine weniger appetitliche – sozusagen als Vor-(Tisch-)Geschichte – vorausgeschickt. Eine, die im Vollsinn des Wortes einen „eher unschönen Beigeschmack“ hat, wie es der promovierte Historiker Johannes Burkardt ausdrückt. Worauf der Leiter der Ostwestfalen-Abteilung im Detmolder NRW-Landesarchiv dabei anspielt ist das, was aus den historischen Quellen über das Schicksal der Berleburger Gräfin Margarete von Henneberg-Schleusingen bekannt ist.
Denn die aus einem alten fränkischen Adelsgeschlecht in Thüringen stammende Protestantin, deren Eheschließung mit dem in Wittgenstein-Berleburg regierenden Grafen Johann VII. sie in die unter zwei Linien geteilte Grafschaft verschlägt, wird vergiftet. Und ihr neugeborener Sohn gleich mit. Der stirbt sogleich, sie elf Jahre später 1546.
„Einem Gerücht zufolge steckte dahinter ein Verwandter, ein katholischer Hardliner aus dem Kölner Domkapitel“, lässt Burkardt wissen. Die Tat selbst wird alten Texten zufolge einem Schlossbediensteten zugeschrieben, einem gewissen Kümmelhenne, der dafür schließlich zur Rechenschaft gezogen wird.
Äußerer Anlass für die Tat dürfte gewesen sein, dass die frischgebackene Berleburger Gräfin, kaum im Land, 1534 in der Schlosskapelle den evangelischen Gottesdienst einführt und damit 17 Jahre nach dem legendären Thesenanschlag Martin Luthers an Wittenbergs Schlosskirche auch in Wittgenstein der Reformation den Weg ebnet. Das reformatorische Erbgut in lutherischer Prägung – Mitgift der Vergifteten – trägt alsbald reiche Frucht. So beginnt ihr Gatte, unterstützt durch Landgraf Philipp I. von Hessen – genannt „der Großmütige –, das Kirchenwesen neu zu ordnen.
Ihren vorläufigen Abschluss findet diese erste Phase der Reformation hier mit Philipps Neffen Ludwig – genannt „der Ältere“ – in der inzwischen wieder geeinten Grafschaft Wittgenstein, der sich ausdrücklich zum lutherischen „Augsburger Bekenntnis“ als grundlegend bekennt. Des Rückhalts des Landgrafen kann er gewiss sein. Zu seiner Herrschaftszeit ist das auch ein Ludwig: Ludwig IV., Landgraf von Hessen-Marburg – genannt „der Ältere“. Ein überzeugter Lutheraner.
Doch das Verhältnis zwischen beiden Ludwigs sollte so friedlich nicht bleiben. Grund dafür ist die allmähliche Abkehr von der lutherischen hin zur calvinistisch geprägten reformierten Konfession des Wittgensteiner Grafen mit dem Heidelberger Katechismus als grundlegender Bekenntnisschrift.
Damit beginnt auch in Wittgenstein das, was Historiker „die zweite Phase der Reformation“ nennen: der Streit zwischen den evangelischen Konfessionen, insbesondere über das unterschiedliche Abendmahlsverständnis. Weil die herrschende Obrigkeit jener Zeit jeweils bestimmt, was und wie zu glauben ist, ist dieser Streit immer auch ein politischer um Macht und Einfluss, darum, wer das letzte Wort hat.
In Wittgenstein, erreicht dieser Streit seinen Höhepunkt, als Graf Ludwigs Aufforderung an die Prediger in Wittgenstein, die reformierte Kirchenordnung und den Heidelberger Katechismus einzuführen, nahezu folgenlos verpufft. Als der 1581 daraufhin verärgert anordnet, unter anderem die Altäre in den Kirchen durch einfache hölzerne Tische zu ersetzen und die Bildnisse aus den Kirchen zu entfernen, reißt der lutherische Geduldsfaden des anderen Ludwig, des Landgrafen von Hessen-Marburg. Denn der ist auch Wittgensteiner Lehnsherr und Patron von drei Kirchen in der Grafschaft. Hinter diesem Streit steckt ein weiterer um die Oberhoheit zwischen dem Landgericht Battenberg und dem Gericht Elsoff, der Anfang des 16. Jahrhunderts aufbricht, wie Archivleiter Burkardt erläutert.

Mit Äxten geht‘s ans Holz des missliebigen Möbels

Historisch verbürgt ist eine kurio­se Begebenheit aus Elsoff, die das Hin und Her, das aus dieser Gemengelage erwächst, sichtbar macht. Im Juni 1582, so hält der frühere Laaspher Pfarrer Gustav Bauer 1954 in einem Beitrag über die Reformation in der Grafschaft Wittgenstein auf Basis historischer Quellen fest, packt selbst der Sekretär des Landgrafen mit an, um den von den Reformierten in der Kirche an die Stelle des alten Altars gestellten schlichten Holztisch in den Kirchturm zu schaffen. Wenige Tage später kommen auf sein Geheiß hin Maurer in Begleitung des Schultheißen von Battenberg, des Försters von Dodenau und mehrerer hessischer Untertanen, brechen die verschlossene Kirchentür auf und bauen den Altar als feststehenden neu auf.
Vergebens. Der Tisch, zunächst nach Battenfeld gebracht, findet über Berleburg unversehens seinen Weg zurück in die Elsoffer Kirche. Daraufhin kommt im Dezember der Rentmeister, sozusagen der Leiter der in Battenberg sitzenden Finanzverwaltung des Landgrafen, mit zwei Förstern und fünf Bauern und schlägt das mobile Möbelstück mitten im Dorf kurz und klein.
Doch Wittgenstein gibt nicht nach und das Ganze geht von vorne los. Anfang Januar 1583 kommt der Rentmeister erneut, diesmal mit zwölf Mann, und wie Bauer festhält, „kletterte über den Predigtstuhl in den Chor und schlug mit Äxten den Tisch in kleine Splitter“.
Dabei ist es nicht geblieben. Heute – und das ist die Nach-(Tisch-)Geschichte – ist Wittgenstein nahezu durchgehend reformiert geprägt.