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Thierse über “Staatsfixierung” Ostdeutscher

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sieht das Demokratieverständnis unzufriedener Menschen in Ostdeutschland durch die DDR-Erfahrung geprägt. Bei vielen herrsche die Überzeugung, „dass Demokratie die direkte Umsetzung des Volkswillens sei“ und Politiker das zu machen haben, „was ich mir wünsche“, sagte Thierse dem Berliner „Tagesspiegel“ (Freitag).

So gebe es eine „eine ambivalente Staatsfixierung der Ostdeutschen“, sagte der 81-Jährige weiter: „Früher wurde alles von oben angeordnet, selbstverantwortliche Bürgerschaftlichkeit war der SED verdächtig.“ Wenn heute „von denen da oben“ alles schnell und möglichst schmerzlos verlangt werde, folge „auf diese autoritäre Erwartung“ die unvermeidliche Enttäuschung. Und es werde die Bereitschaft gefördert, „denen zu glauben, die illusionäre, einfache Lösungen versprechen à la AfD oder BSW“.

Thierse betonte: „Die Menschen vergessen dabei, dass Demokratie das Aushandeln von Interessen ist, der Schutz von Minderheiten, dass es Gewaltenteilung gibt.“ Nach 1990 habe die Mehrheit der Ostdeutschen genug von „Partei“ gehabt, „denn das war stets die allmächtige SED“. Aber wenn er heute Klagen höre, man könne nichts machen, frage er zurück: „Warum seid ihr nicht wenigstens in die Gewerkschaften gegangen und habt dort für eure Interessen gekämpft? Viele Menschen schimpfen und begreifen nicht, dass es auch an ihnen liegt, sich einzumischen.“ Immer höre er, am Erfolg der AfD seien die anderen Parteien schuld. Diese hätten aber in Ostdeutschland kaum Mitglieder, „aber von ihnen wird alles verlangt“, sagte Thierse.