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Theologischer Aufruf gegen die Verrohung der Gesellschaft

Wir erleben derzeit eine Barbarei an der Kommunikation, so die reformierte Theologien Catherine McMillan. Das ist pures Gift für die demokratische Kultur. Ein Aufruf.

Enthemmung und Verrohung in unserem Miteinander geben den Ton an.
Enthemmung und Verrohung in unserem Miteinander geben den Ton an.Imago / Wolfgang Maria Weber

Enthemmung und Verrohung des Umgangs in der Gesellschaft auf allen Ebenen: Catherine McMillan, reformierte Pastorin aus der Schweiz und eine der Initiatorinnen des „Aufrufs zur Verteidigung demokratischer Kultur“ (siehe unten), erklärt im Gespräch mit Gerd-Matthias Hoeffchen, warum das eine Angelegenheit für Christinnen und Christen ist.

Was war der Auslöser für Ihren Aufruf? Es ist dort die Rede vom „rücksichtsloses Diktieren Einzelner und ihrer Entourage“ – da denkt man unwillkürlich an Donald Trump und seine Gefolgsleute.
Natürlich spielen die Verhältnisse in den USA eine Rolle. Aber nicht nur. Es gibt ja auch Victor Orban in Ungarn, Putin in Russland, Erdoğan in der Türkei und andere Machthaber. Ihre Art, sich über bestehende Regeln hinwegzusetzen, leistet der Verrohung der Gesellschaft Vorschub.

Sie sprechen im Aufruf von einer „rückläufigen Kultur“ und „aufkommender Barbarei“. Was beobachten Sie konkret im gesellschaftlichen oder politischen Alltag, das Sie zu dieser Einschätzung bringt?
Wir sehen die Enthemmung und den Verfall gesellschaftlicher Regeln auf allen Ebenen. Im persönlichen Bereich, aber auch in der Öffentlichkeit und in der Politik. Auch im Internet und auf social media. Da gibt es zwar viel Gutes. Aber dort hat sich ein Ton breitgemacht, den man nur noch als Kulturbruch beschreiben kann. „Lügen und Verdrehen, Schmähen und Drohen, Verleumden und Beleidigen“, wie es im Aufruf heißt.

Im Aufruf nennen Sie das auch „Verluderung“ der Kultur.
Das Wort mag ein spezieller Schweizer Zungenschlag sein. Es meint eine Enthemmung der Kommunikation. Trump und Co. treiben das als schlechte Vorbilder voran. Aber es kommt ihnen auch zugute.

Wie das?
Diese Barbarei der Kommunikation hilft, dass Populisten an die Macht kommen. Sie stärkt sie dort. Demagogen brauchen Feindbilder. Sie reduzieren die vielschichtige und nicht immer leicht zu verstehende Wirklichkeit auf Schlagworte, bieten einfache Antworten, die aber in die Irre führen und nur etwas vorgaukeln. Da bleibt wenig Platz für Zwischentöne oder zum Nachdenken.

Sie haben diesen Aufruf als Theologinnen und Theologen auf den Weg gebracht. Was kann Theologie hier Besonderes sagen?
Zum einen hat Theologie immer eine Verantwortung für das Zusammenleben der Menschen. Zum anderen rufen wir als Vertreterinnen und Vertreter der Theologie unsere kirchlichen Institutionen auf, von der Kirchengemeinde bis zum Dachverband, dieser Verluderung entgegenzutreten. Und gerade als Reformierte können wir einen speziellen Blickwinkel bieten.

Catherine McMillian ist Mitinitiatorin des "Aufrufs zur Verteidigung demokratischer Kultur"
Catherine McMillian ist Mitinitiatorin des "Aufrufs zur Verteidigung demokratischer Kultur"privat

Welchen?
Sowohl Trump als auch Orban berufen sich darauf, Christen aus der reformierten Tradition zu sein. Da müssen wir deutlich widersprechen und sagen, was reformierter Glaube denn wirklich ist. Parteinahme für die Schwachen, Zugang zu Bildung für alle Bürgerinnen und Bürger; ein Zusammenleben, das auf gemeinschaftlich erstellten Regeln beruht. All das haben Reformatoren wie Zwingli, Calvin, Bullinger und Knox deutlich herausgestellt. Es ist absurd: Die USA definieren sich von ihren Gründungsvätern und -müttern her, den ersten Einwanderern. Die waren aus Europa geflohen, vor Hunger, Armut, Unterdrückung durch Tyrannen und Despoten. Ihnen war der christliche Glaube wichtig und gemeinsame Regeln fürs Zusammenleben. Als das „verludert“ im Moment. Das kann man nicht mit Gott und Bibel stützen, und schon gar nicht aus reformierter Theologie und Tradition.

Was ist das Ziel des Aufrufs?
Wenn sich möglichst viele dem Aufruf anschließen und ihn unterzeichnen, kann er ein Manifest sein; eine starke Stimme, die Diskussionen anregt, Augen öffnet und als Argumentationshilfe unter Christinnen und Christen dient.

Zum Aufruf:
https://www.eks-eers.ch/blogpost/aufruf-zur-verteidigung-demokratischer-kultur/