Das Umdenken der evangelischen Kirche nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vollzog sich nach Auffassung des Kirchenhistorikers Thomas Kück insgesamt nur sehr langsam. Der Theologe verwies auf das Verhalten des hannoverschen Landesbischofs August Marahrens (1875-1950): Dieser habe zwar bald nach dem 8. Mai 1945 abstrakt Schuld eingestanden, zugleich aber „die NS-Herrschaft als etwas Fremdes gedeutet, an dem die Bevölkerung irgendwie kaum Anteil hatte“.
Christen müssen der Obrigkeit Gehorsam leisten
Wegen seiner Kompromisse mit dem NS-Staat sei Marahrens schon lange vor Kriegsende hochumstritten gewesen, sagte Kück. So habe er den von Goebbels ausgerufenen „Totalen Krieg“ befürwortet, den Krieg als „aufgezwungenen Lebenskampf“ gedeutet und noch im November 1944 die Einberufung des Volkssturms unterstützt.
Gerechtfertigt habe er dies mit einer von ihm empfundenen doppelten Verantwortung, „der Verkündigung des Evangeliums und der Gemeinschaft mit seinem Volk“. „Zudem war er alternativlos überzeugt, dass Christen der Obrigkeit Gehorsam leisten müssen.“ Nach den Grenzen des Gehorsams habe Marahrens nicht gefragt.
Schuld: Der Blick sollte nur nach vorne gerichtet werden
Im Sommer 1945 habe der Landesbischof durchaus auch nach seinem Anteil an der Schuld gefragt, auch im Hinblick auf die Verbrechen an den Juden, erläuterte Kück. „Insgesamt aber wollte er nun nach vorne blicken.“ Die scharfe Kritik an ihm, etwa vonseiten bischöflicher Kollegen, habe er nie recht verstanden, sie habe ihn bis zum Lebensende schwer belastet. „Dazu muss man wissen, dass er als Person eher behäbig und langsam war. Die Situation nach Kriegsende hat ihn offenbar überfordert.“
Für die Mehrheit der Pfarrerschaft und der kirchlichen Bevölkerung sei Marahrens damals „zu einem Symbol eines angemessenen Umgangs mit Verantwortung im und nach dem NS-Staat“ geworden. Bei seinem Rücktritt 1947 habe ihm die Landessynode daher deutlich den Rücken gestärkt.