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Texte ins Herz, Melodien ins Ohr

Lobpreis, auch mit dem englischen Wort „Worship“ oder „Praise Music“ bezeichnet, wird von den einen geliebt und von den anderen verachtet. Bei einer Tagung in Frankfurt trafen Anhänger und Kritiker aufeinander

aradaphotography - Fotolia

Lobpreis ist die Helene Fischer der Kirchenmusik. Die einfachen Texte gehen zu Herzen, die Melodien ins Ohr. Die einen lieben das. Die Kritiker dagegen urteilen: religiöser Kitsch, ohne Tiefgang, theologisch bedenklich, musikalisch seicht. Kürzlich lud das Zentrum Verkündigung in Frankfurt Verfechter und Verächter des Lobpreises zu einem Studientag ein.

Je länger, desto weniger glücklich sei er über den Begriff Lobpreis, bekennt Albert Frey aus Ravensburg, einer der führenden Liedermacher und Lobpreis-Leiter in Deutschland. Der Name enge auf das Loben und Preisen ein, als ob man nicht auch mit Klage und Fürbitte vor Gott treten würde. Der langjährige Kenner und Macher der Szene stellt einen Generationsabbruch fest. „Jugendliche heute sagen: Das ist die Musik meiner Eltern.“
Albert Frey übt Selbstkritik. Lobpreislieder sind eingängig. Das verführe dazu, sie austauschbar einzusetzen. Beispiel Gemeindefreizeit: Was singen wir vor dem Mittagessen? Schnell ein „Ich lieb dich, Herr, keiner ist wie du“. „Das passt nicht zum Tellerklappern“, sagt Frey. „Lobpreis ist keine Nebenbei-Musik, sondern soll in die Versenkung führen.“ Theologisch seien die Texte auf das Erlösungsgeschehen am Kreuz fokussiert. Andere Themen des Glaubens wie Verantwortung für die Schöpfung kämen zu kurz.

Lobpreis soll in die Versenkung führen

Lobpreislieder wirken durch die Wiederholung einfacher Aussagen. Das ist Albert Frey auf Dauer zu wenig. Er dichtet mittlerweile Lieder mit komplexeren Strophen. „Allerdings verbreiten die sich nicht mehr so schnell“, stellt er fest. Ihm ist wichtig: „Lobpreis ist kein Musik-, sondern ein Lebensstil.“
„Was kann die Lobpreisbewegung von der Kirche lernen?“, fragt Frey. Sie könne die Vielfalt der Volkskirche entdecken. „Wir bringen den Durchschnittschristen den wahren Glauben“ – diese Einstellung mancher freien Gemeinde ignoriert andere Formen, Christentum zu leben. Dem extrovertierten Lobpreis täte die Stille als Gegenpol gut. Es müsse außerdem Raum für Zweifel sein. „Wir singen ,Jesus, du bist unser Heiler‘. Nun ist ein Freund todkrank.“ Solche Erfahrungen müssten im Lobpreis vorkommen.
Frey fragt weiter: „Was kann die Kirche von der Lobpreisbewegung lernen?“ Die Herausforderung zur persönlichen Entscheidung für den Glauben wirke wie ein Stachel im Fleisch der etablierten Kirche. Die Volkskirche könnte durchaus mehr Emotion und Begeisterung vertragen.
Peter Bubmann, Professor für Praktische Theologie in Erlangen, zählte sich früher selbst zur Praise-Music-Szene. Auch er hat Melodien zu Glaubensliedern komponiert, deren Texte „durchaus erwecklich“ klingen. Doch nach eingehender Beschäftigung mit der Lobpreisbewegung zweifle er, ob er tatsächlich dazugehöre.
Anhänger der Praise-Music seien überzeugt: Lobpreis sei zu der beherrschenden Musik evangelischer Gottesdienste in Deutschland geworden. Die Paderborner Studie von 2009, eine repräsentative Umfrage zum Singen in der Kirche, kommt zu einem anderen Ergebnis. Da landet die Praise-Music, sogar bei den Jüngeren, auf der Skala der Beliebtheit nur auf einem der hinteren Plätze, weit abgeschlagen hinter der klassischen Kirchenmusik. Lobpreis werde oft als Basisbewegung beschrieben. Die Verbreitung sei jedoch schlicht ein „Erfolg der frommen Musikindustrie“, so Bubmann.

Reaktionäre und sexistische Texte?

Wer Lobpreislieder singt, spürt: Jubel und Hymnen führen zu Glücksgefühlen. Den erhebenden Charakter des Gottesdienstes wiederentdeckt zu haben, sei ein Verdienst des Lobpreises, aber auch der Gesänge aus Taizé und der Gospelmusik. Das „Wir“ komme in Lobpreisliedern seltsam selten vor. „Mich irritiert, dass ich immerzu ,ich“ singen soll: Ich gebe mich dir ganz hin, Jesus, schein auf mich.“ Alles hänge vom Subjekt ab. Die fromme Innerlichkeit drohe dem neuzeitlichen Ich-Kult zu verfallen.
Der Erlebnisgesellschaft kämen die Lobpreis-Gottesdienste mit ihren Show-Elementen entgegen. Fromme Events und Emotionalität einerseits, Weltflucht und Selbstbespiegelung andererseits. Musikalisch bewegten sich die meisten Lobpreislieder in der Sparte des Schlager-Radios. Typische Milieumusik, so wie eine Bachkantate auch ein bestimmtes Milieu erreicht. „All das darf in der Kirche sein“, betont Bubmann.
Am schärfsten fällt seine theologische Kritik aus. Unreflektiert verwendeten Lobpreislieder herrische, gewalttätige Gottesbilder: König, Thron, Christus, der das Schwert zückt, um die Feinde das Fürchten zu lehren. „Verzeihung!“, wendet sich Bubmann an den Lobpreis-Dichter Frey. „Das ist mir definitiv zu viel christlicher Salafismus.“ Dem „Lobpreis-Royalismus“ fehle die Erkenntnis, dass nur der erniedrigte Christus der erhöhte sei.
„Ich treffe dich am Kreuz und leg' meine Rüstung ab. Ich kapitulier' vor dir“, zitiert Peter Bubmann eine Strophe aus Freys Feder. Das sei eine Kapitulationserklärung weniger vor Gott denn „vor deutscher Reimkunst“ und vor „theologisch verantwortlichem Reden von Kreuzestheologie“. Müsse charismatische Frömmigkeit immer „reaktionär, sexistisch, homophob“ sein, könne es nicht auch eine liberal-emanzipatorische Variante geben?, fragt der Theologe. Landeskirchen, die sich als Volkskirche verstehen, müssten in diesen Fragen theologische Grenzen ziehen.
„Manchmal in den Meinungen auseinandergehen und so die Einheit würzen“, schrieb Kirchenvater Augustinus. Auf dem Podium waren sich alle einig: Kirchenmusik braucht Vielfalt. Es lebe die Harmonie!