Die Menschen in Deutschland fühlen sich immer weniger verbunden, konstatiert eine Studie. Misstrauen und Entfremdung steigen, obwohl die Sehnsucht nach Zusammenhalt da ist. Ein Forscher warnt vor den Folgen.
Der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland schwindet offenbar immer mehr: 87 Prozent nehmen eine wachsende Trennung und Vereinzelung in der Gesellschaft wahr, die sie besorgt. Das geht aus einer am Donnerstag vorgestellten Studie des Kölner Marktforschungsinstitut rheingold hervor. 2023 stimmten dieser Aussage noch 83 Prozent der Menschen zu.
Aktuell finden demnach 89 Prozent, dass die Gesellschaft gespalten und ein gemeinsames “Wir-Gefühl” verloren gegangen sei. Neun Prozent der Befragten äußerten die Hoffnung, dass sich das Gemeinschaftsgefühl in den kommenden zehn Jahren verbessern wird; im Jahr 2023 sagten dies noch 17 Prozent.
Migration und steigende Lebenshaltungskosten werden demnach als die größte Bedrohung für gesellschaftlichen Zusammenhalt bezeichnet. 44 Prozent sagten demnach, sie persönlich empfänden Migration als Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. Am zweithäufigsten wurden steigende Lebenshaltungskosten wie hohe Energie- und Mietpreise genannt. Mit etwas Abstand folgen auf dem dritten Platz internationale Konflikte. Diese empfanden 27 Prozent als Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland.
Den Verlorenheitsgefühlen zum Trotz gibt es laut Angaben eine starke Sehnsucht nach einem verbindenden Miteinander. 95 Prozent der Befragten stimmen zu, dass angesichts der weltpolitischen Lage mehr Zusammenhalt in Deutschland nötig wäre. 77 Prozent geben an, sich mehr echte Gemeinschaftserlebnisse zu wünschen – auch mit Menschen, die anders denken als sie selbst.
“Mangelnde Verbundenheit kann auf Dauer unsere freiheitliche Demokratie gefährden”, sagt Stephan Grünewald, Gründer des rheingold Instituts. Soziales Misstrauen mache die Menschen anfällig für “totemistisches Stammesdenken”, wie es zurzeit in den USA zu beobachten sei. Dieser Weg führe allerdings zunehmend in destruktiv-abschottende Strukturen. Die globalen Krisen wirkten dabei wie Brandbeschleuniger, so der Psychologe. Politik und Gesellschaft stünden vor der Frage, ob und wie sich dieser Erosion gesellschaftlicher Verbundenheit Einhalt gebieten lasse.
Auch einen Vertrauensverlust in die Politik und die öffentlich-rechtlichen Medien konstatiert die Studie. 47 Prozent der Bevölkerung geben an, dass sie Vertrauen in die Anbieter öffentlich-rechtlicher Nachrichten haben. Ein Drittel der Menschen (34 Prozent) vertraut den demokratischen Institutionen. Über alle Altersgruppen hinweg wird ein zunehmendes Gefühl von Unsicherheit beschrieben, sowohl im öffentlichen Raum wie auch in politischen und sozialen Fragen.
Nur 28 Prozent der Menschen fühlen sich demnach derzeit im öffentlichen Raum sicher. 89 Prozent (2023: 84 Prozent) empfinden das Miteinander in der Gesellschaft als aggressiv.
Trotz solcher krisenhaften Erkenntnisse gibt es auch Ausdruck von Verbundenheit im Alltag. Ein starkes Verbundenheits-/ Gemeinschaftsgefühl erleben 85 Prozent mit der Familie und 83 Prozent mit dem eigenen Freundeskreis. 66 Prozent der Befragten fühlen sich der Natur und dem Planeten stark verbunden – deutlich mehr als mit dem Glauben oder einer spirituellen Gemeinschaft; hier sind es 18 Prozent.