Spätestens seit dem Missbrauchsskandal in Lügde stehen auch die Jugendämter im Fokus der Kritik. Forscher haben nun deren Arbeit anhand verschiedener Fälle untersucht – und Lücken gefunden.
Das Personal von Jugendämtern ist laut einer aktuellen Studie oft nicht ausreichend geschult, um Missbrauch von Kindern frühzeitig zu erkennen. Viele Fälle hätten verhindert werden können, wenn Signale frühzeitig beachtet worden wären, heißt es in der am Dienstag in Berlin vorgestellten Untersuchung zum Thema “Sexueller Kindesmissbrauch und die Arbeit der Jugendämter”.
Die bundesweite Aufarbeitungskommission hatte die Studie in Auftrag gegeben. Durchgeführt wurde sie vom International Centre for Socio-Legal Studies (Socles). Die Wissenschaftler werteten dafür unter anderem das Datenmaterial aus anonymisierten Anhörungen der Kommission aus. Insgesamt seien 268 Fälle zusammengestellt worden, in denen die Betroffenen das Jugendamtshandeln thematisiert hatten. 69 Fälle aus sieben Jahrzehnten wurden ausgewertet. In 51 Fällen berichten die Betroffenen selbst, in den anderen Fällen sind es nahe Verwandte der Betroffenen. Hintergrund war auch der Skandal um Kindesmissbrauch in Lügde, der 2019 publik wurde. In dem Ort in Nordrhein-Westfalen hatten jahrelang Männer auf einem Campingplatz Kinder missbraucht.
Die Soziologin Barbara Kavemann, die Mitglied der Aufarbeitungskommission ist, erklärte, um Kinder besser vor Missbrauch zu schützen, sei eine stärkere Sensibilisierung von Jugendämtern notwendig. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bräuchten etwa eine bessere Ausbildung zum Kinderschutz; dies sei derzeit oft nicht der Fall. Weiter warb sie dafür, dass Jugendämter ihre Arbeit stärker in Sozialen Medien sichtbar machen, damit Kinder und Jugendliche einfacher auf sie aufmerksam würden. Sie forderte zudem ein Recht der Betroffenen auf Akteneinsicht. Akten sollten daher nach Ablauf von Aufbewahrungsfristen einem Archiv angeboten, die Betroffenen über ihre Akteneinsichtsrechte informiert und bei der Sichtung und Auswertung des Akteninhalts begleitet werden.
Für Akteneinsicht sprach sich auch Ilka Kraugmann aus, die Mitglied im Betroffenenrat bei der Missbrauchsbeauftragten Kerstin Claus ist. Es gehe dabei darum, Klarheit über die eigene Lebensgeschichte zu haben, auch um diese individuell aufzuarbeiten. Sie warb ebenfalls dafür, dass Mitarbeiter Kinder und Jugendliche stärker einbeziehen sollten. Es dürfe kein Glück oder Zufall sein, ob Betroffene einen sensibilisierten Mitarbeiter vor sich hätten oder nicht.
Wissenschaftler Thomas Meysen plädierte als Co-Autor der Studie dafür, dass Jugendämter individuelle Schutzkonzepte entwickeln und Kinder und Jugendliche stärker einbeziehen müssten. “Der Geheimhaltungsdruck, unter dem von sexueller Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche stehen, ist regelmäßig besonders hoch”, so Meysen. Wenn sich Kinder und Jugendliche selbst an Jugendämter oder an andere Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe wendeten, bräuchten Fachkräfte ein Bewusstsein, dass es in diesen Momenten nichts Wichtigeres gebe, als sich ihnen anzunehmen und ihnen Angebote zu machen. Derzeit deuteten die Schilderungen Betroffener darauf hin, dass es in Jugendämtern keine einheitliche Praxis für den Umgang gebe.