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Stimme aus dem Jenseits

Er konnte die Weltpolitik mit wenigen Worten erklären: Der Journalist und Autor Peter Scholl-Latour war eine Ausnahmeerscheinung. Mit der Autobiographie, die anderthalb Jahre nach seinem Tod erschienen ist, meldet er sich jetzt noch einmal zu Wort

KNA/Harald Oppitz

Acht Wochen auf dem Markt: Mit einer Startauflage von 100 000 Exemplaren ist die Autobiographie von Peter Scholl-Latour in den Handel gekommen.

Die Marke „PSL“: Sie zieht auch mehr als ein Jahr nach dem Tod jenes Mannes, der den Deutschen bis ins hohe Alter von 90 Jahren die Krisen dieser Welt erklärte. Und der mit seinen zwischen Nuscheln und Raunen vorgetragenen Analysen und Prophezeiungen den Finger in manche Wunde legte. „Assad wäre das kleinere Übel“, meinte er mit Blick auf den Syrienkrieg in einem seiner letzten Interviews Anfang 2014 mit der Katholischen Nachrichten-Agentur.

Sein Markenzeichen: Der „ewige“ Orientexperte

Die laufenden Verhandlungen zeigen zwar, dass sich der blutige Konflikt mit Syriens Präsident Baschar al Assad wohl kaum so einfach lösen lässt. Aber Scholl-Latour hätte wohl auch die jüngsten Entwicklungen mit kühlem Blick gedeutet – und sich wie immer einen Teufel darum geschert, wenn ihm Kritiker Zynismus oder Überheblichkeit vorgeworfen hätten. Sein Urteil speiste sich aus regelmäßigen Reisen in die Region und beste Kontakte in die Riege der politischen und religiösen Würdenträger. Der „ewige“ Orientexperte eben.
Dabei wurde er einer breiten Öffentlichkeit ab den 1960er Jahren zunächst mit seinen Reportagen aus Afrika und Indochina bekannt; sein Buch „Tod im Reisfeld“, erschienen 1980, ist längst eine Art Sachbuchklassiker geworden. Zum heutigen Vietnam, Laos und Kambodscha hatte Scholl-Latour eine besondere Beziehung, die er in seiner Autobiographie ausführlich schildert. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Fall von Hitler-Deutschland meldete sich der 21-Jährige beim französischen Expeditionskorps für Fernost, um die damalige Kolonie Indochina für Frankreich zu sichern.
Warum er diesen Schritt wagte, nachdem er kurz zuvor noch in Gestapo-Haft gesessen hatte und beinahe an Flecktyphus gestorben wäre, erklärt Scholl-Latour mit seiner Abenteuerlust – dem Wunsch, aus der Enge des zerstörten Europas auszubrechen und der Suche nach den „emotions fortes“, jenen „starken Gefühlen“, die, so schreibt er, „mir bis ins hohe Alter erhalten blieben und meinem Leben einen Sinn gaben“. Einige Seiten zuvor heißt es über seine Begegnungen mit britischen Soldaten, die ihn auf ihren Lastwagen Richtung Frankreich mitnahmen: Bei dem Anblick dieser „strahlenden, jungen Männer“ habe ihn „eine Melancholie“ überkommen, „die nicht frei war von Neid“.
Sehnte sich Scholl-Latour, in dessen Wehrpass der Vermerk „n.z.v.“ („nicht zu verwenden“) stand, danach, die prägende Erfahrung der meisten seiner männlichen Altersgenossen zu teilen? Suchte der Sohn, dessen Eltern aus Elsass-Lothringen stammten und der einen Teil seiner Jugend im Jesuitenkolleg Sankt Michael im schweizerischen Fribourg verbracht hatte, Halt und Identität in der soldatischen Kameradschaft und ihren überkommenen Werten wie Mut und Tapferkeit? Das erfährt der Leser nicht. Mehr als einmal betont Scholl-Latour, er denke gar nicht daran, seine „innersten Seelenzustände auszubreiten“. Für eine Autobiographie ein eher eigenwilliger Ansatz.

Treue zur Kirche. Ablehnung für den Zeitgeist

Vieles auf den fast 450 Seiten bleibt deswegen anekdotenhaft. Persönliches findet sich zwischen den Zeilen. Etwa, wenn Scholl-Latour, der Populärkultur zeitlebens in herzlicher Abneigung verbunden, das Kapitel über seine Geburtsstadt Bochum mit Herbert Grönemeyers Hymne auf die Revierstadt ausklingen lässt. Treue hielt Scholl-Latour der katholischen Kirche, auch wenn er die meisten liturgischen Neuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils als Anpassung an den Zeitgeist ablehnte, wie er freimütig bekennt.
Auf die Frage, wie er in Erinnerung bleiben wolle, antwortete Scholl-Latour im KNA-Interview: „Mir sind, glaube ich, ein paar ganz gute Bücher gelungen. Der Rest ist Staub.“ Die nun vorgelegte Autobiografie dürfte die letzte, posthume Veröffentlichung sein.
Ein zweiter Teil, der mit dem US-amerikanischen Vietnamkrieg beginnen und mit Afghanistan enden sollte, blieb unvollendet, als Scholl-Latour am 16. August 2014 in Rhöndorf bei Bonn starb.

Peter Scholl-Latour: Mein Leben. C. Bertelsmann Verlag, 448 Seiten, 24,99 Euro.