Im Osten Deutschlands sind zwar deutlich weniger Menschen arbeitslos als nach der Wende. Arbeitnehmer im Osten würden jedoch im Durchschnitt fast 16 Prozent weniger als im Westen verdienen, erklärte die Bertelsmann Stiftung am Mittwoch in Gütersloh zur Veröffentlichung eines „Focus Paper Arbeitsmarkt“ zum Thema Entwicklung des ostdeutschen Arbeitsmarkts. Der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männer in östlichen Bundesländern sei hingegen deutlich geringer als im Westen.
Das mittlere Entgelt liege im Osten bei 3.157 Euro, im Westen seien es 3.752 Euro, erklärte die Bertelsmann Stiftung. Die Arbeitsproduktivität habe sich pro Arbeitsstunde in einigen Bereichen der ostdeutschen Wirtschaft zwar stark dem westdeutschen Niveau angenähert. Beispiele dafür seien die Bereiche Baugewerbe, Handel sowie Dienstleistungen. Besondere Bedeutung für die Produktivitäts- und Lohnentwicklung habe jedoch das verarbeitende Gewerbe. Dort liege auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung die Arbeitsproduktivität im Osten bei nur 76 Prozent des westdeutschen Niveaus.
Der ostdeutsche Arbeitsmarkt habe einen Wandel sondergleichen hinter sich, erklärte die Stiftung weiter. Der Wechsel von der Plan- zur Marktwirtschaft habe in den ehemals volkseigenen Betrieben 70 Prozent der Arbeitsplätze gekostet. Bis zum Jahr 2005 sei die Arbeitslosenquote auf knapp 19 Prozent gestiegen. Im Jahr 2023 sei die Arbeitslosenquote in den östlichen Bundesländern auf 7,2 Prozent zurückgegangen. Sie liege damit allerdings noch über dem westdeutschen Schnitt von 5,3 Prozent.
Nach der Wende bis zum Jahr 2016 seien zudem jährlich mehr Menschen nach Westdeutschland abgewandert, als von dort zurückgekommen seien, erklärte die Stiftung. Zwischen 2017 und 2022 sei der Saldo für Ostdeutschland mit einem Überhang von 18.300 Zuwanderungen hingegen positiv gewesen. 2023 habe sich der Trend jedoch wieder ins Negative gekehrt. Es seien vor allem Menschen mit ausländischen Wurzeln und junge Menschen, die in den Westen ziehen würden.
Deutliche Vorteile biete der Osten dagegen bei den Beschäftigungsbedingungen für Frauen. 2023 habe der durchschnittliche Stundenverdienst einer Frau in Westdeutschland 19 Prozent unter dem eines Mannes gelegen, hieß es. In Ostdeutschland betrage der Unterschied lediglich sieben Prozent. Das liege auch an einer besseren Verfügbarkeit von Kinderbetreuung. In Ostdeutschland seien mehr als 50 Prozent der unter Dreijährigen betreut, im Westen seien es lediglich rund 30 Prozent.
Negativ auf die Produktivität wirkten sich der Bevölkerungsschwund sowie regionale Betriebsstrukturen mit vielen kleinen Betrieben aus, erklärte die Stiftung. Mehr Großunternehmen würden die Wirtschaft produktiver machen und besser bezahlte Arbeitsplätze in zukunftsträchtigen Berufen bieten. Gegen einen zunehmenden Fachkräftemangel durch eine älter werdende Gesellschaft empfiehlt die Stiftung, auf mehr Zuwanderung sowie auf mehr Qualifizierung und Weiterbildung zu setzen.
Die hohe Arbeitslosigkeit und die Abwanderung der jungen Leute hätten sich tief ins kollektive Bewusstsein eingebrannt, erklärte der Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann Stiftung, Eric Thode. Die Auswirkungen seien auch heute noch spürbar, wenn die öffentliche Daseinsvorsorge in ländlichen Regionen weiter ausdünnt und viele Arbeitslose von damals nun der Altersarmut entgegensehen würden. Das trage zur Wahrnehmung bei, weiterhin benachteiligt zu sein.
Für das am Mittwoch veröffentlichte Paper „Entwicklung und Zukunft des ostdeutschen Arbeitsmarkts“ hat die Bertelsmann Stiftung nach eigenen Angaben aktuell verfügbare Daten zum Status quo und zur Entwicklung des Arbeitsmarkts in Ost- und Westdeutschland verwendet.