Die Unzufriedenheit in der portugiesischen Bevölkerung ist immens; den regierenden Sozialisten droht bei der Parlamentswahl am Sonntag eine Niederlage. Können Rechtspopulisten davon profitieren?
Am Sonntag finden in Portugal vorgezogene Parlamentswahlen statt. Wohnungsnot, Lehrermangel, eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und ein überlastetes Gesundheitssystem prägen den Wahlkampf. Die sozial-wirtschaftlichen Probleme sind nach jahrelanger sozialistischer Regierung derart groß, dass sich sogar die nationale Bischofskonferenz in den Wahlkampf einschaltete.
Das Land mache eine schwierige Zeit durch, schreiben die Bischöfe. Viele Portugiesen, insbesondere junge Menschen, fänden keine Arbeit – “und wenn doch, reicht ihr Einkommen nicht für ein würdevolles Leben”. Deshalb fordert man von den Parteien realisierbare Gegenmaßnahmen und vor allem eines: “die Hoffnungen der Bürger nicht mit falschen Wahlversprechen zu enttäuschen”.
Tatsächlich ist es zuletzt nicht gut um das Gemeinwohl in Portugal bestellt; und das, obwohl in den vergangenen Jahren durchaus einige Erfolge zu verzeichnen waren. Zwischen 2011 und 2014 litt die Bevölkerung unter einer harten Sparpolitik der konservativen Regierung. Für EU-Notkredite musste das krisengeschüttelte Land drastisch die Staatsausgaben kürzen, Steuern erhöhen.
Als der Sozialist Antonio Costa 2015 das Ruder übernahm, verließ er den Sparkurs. Trotz anfänglicher Bedenken aus Brüssel schienen ihm die Zahlen zunächst recht zu geben. Die Arbeitslosenquote konnte auf 6,6 Prozent reduziert werden. Die Staatsverschuldung wurde auf unter 100 Prozent gesenkt. Die Wirtschaft wuchs teils über dem EU-Durchschnitt.
Doch der Schein trügt, meint Joao Cesar das Neves, Wirtschaftsprofessor an der Katholischen Universität in Lissabon. Die Jugendarbeitslosigkeit liege mit 23,9 Prozent immer noch sehr hoch, der Mindestlohn lediglich bei 760 Euro im Monat. Jeder zweite Arbeitnehmer in Portugal verdiene weniger als 1.000 Euro monatlich; die Durchschnittsrente betrage 520 Euro. Fast 20 Prozent der rund 10,6 Millionen Portugiesen leben demnach an der Armutsgrenze – Tendenz steigend. Immer noch gehört Portugal zu den ärmsten Ländern Westeuropas.
“Die Sparquote der privaten Haushalte ist eine der niedrigsten in Europa. Die öffentliche und private Verschuldung des Landes ist extrem hoch”, erläutert das Neves. Es gab also kein linkes Wirtschaftswunder. Im öffentlichen Sektor ist die Unzufriedenheit so groß, dass Polizisten, Eisenbahner, Lehrer und Ärzte seit Monaten demonstrieren und streiken.
“Die Probleme haben selbst die Mittelschicht schon erreicht. Das macht sich vor allem an der akuten Wohnungsnot mit unbezahlbaren Mieten bemerkbar”, erklärt Luis Mendes, der am Institut für Geografie und Raumplanung der Universität Lissabon zu Gentrifizierung und Stadtentwicklung forscht. Selbst Ärzte können sich kaum noch Wohnungen leisten.
“Dabei braucht gerade Lissabon dringend mehr Ärzte. Doch junge Mediziner haben wegen der horrenden Mieten und Lebenshaltungskosten kein Interesse, hier zu arbeiten”, erklärt Carlos Cortes, Vorsitzender der portugiesischen Ärztekammer. Die Ärztegehälter seien seit 2015 trotz zuletzt hoher Inflationsraten nur um 19 Prozent gestiegen. Junge Assistenzärzte verdienten in Portugal gerade mal 1.600 Euro netto im Monat. Immer mehr wanderten daher in den privaten Sektor ab – oder gleich ins Ausland. Der nun herrschende Ärztemangel sorge für gravierende Engpässe bei der Gesundheitsversorgung, so Ärztekammerchef Cortes.
Wie die Ärztegewerkschaften protestieren und streiken auch Portugals Lehrer schon seit mehr als 18 Monaten. “Aufgrund der Sparpolitik im öffentlichen Sektor sind unsere Gehälter seit über 15 Jahren praktisch eingefroren – bei gleichzeitig explodierenden Lebenshaltungskosten”, sagt Jose Feliciano Costa, Vorsitzender der Lehrergesellschaft SPGL. Junge Lehrer verdienten in Portugal etwa 1.100 Euro. Doch nicht nur die Löhne seien ein Problem. “Damit der Staat Lehrer nicht verbeamten muss, arbeiten viele Kollegen seit mehr als 15 Jahren lediglich mit Zeitarbeitsverträgen”, beklagt Costa. Das Bildungssystem sei insgesamt vollkommen unterfinanziert und mache den Lehrerjob unattraktiv. Leidtragende seien letztlich die Schüler.
Die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung könnte bei den Wahlen am Sonntag zu einem Rechtsruck in einer der letzten sozialistischen Hochburgen Europas führen. Erwartet wird ein Kopf-an-Kopf Rennen zwischen den regierenden Sozialisten und dem rechtskonservativen Parteienbündnis Alianca Democratica. Beide Lager kommen zurzeit auf rund 30 Prozent der Stimmen, wobei sämtliche Umfragen den Rechtskonservativen einen leichten Vorteil einräumen.
Weil eine absolute Mehrheit weder links noch rechts realistisch erscheint, wird es wohl schwierige Koalitionsverhandlungen geben. Das führte im Wahlkampf zu hitzigen Debatten, ob möglicherweise die Brandmauer gegen die rechtspopulistische Chega-Partei fallen könnte. Chega kann ihren Stimmenanteil voraussichtlich nahezu verdreifachen, auf bis zu 20 Prozent. Der konservative Oppositionsführer Luis Montenegro beteuert zwar, nicht mit Chega kooperieren zu wollen. Experten bezweifeln aber, dass er sich daran hält.