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Startschuss für elektronische Patientenakte

Seit Jahrzehnten ist sie Thema. Ab Dienstag wird es ernst mit der elektronischen Patientenakte. Sie soll das Gesundheitswesen verändern.

Ab 29. April startet die bundesweite Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA), die Patientendaten digital speichert und den Zugriff für Ärzte erleichtert
Ab 29. April startet die bundesweite Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA), die Patientendaten digital speichert und den Zugriff für Ärzte erleichtertImago / Christian Ohde

Am 29. April startet der bundesweite Rollout der elektronischen Patientenakte (ePA). Nach einer Testphase in drei Modellregionen soll sie nun deutschlandweit für alle 75 Millionen gesetzlich Versicherten schrittweise genutzt werden können. Verpflichtend ist die Nutzung im Gesundheitssystem aber erst ab dem 1. Oktober. Ein Widerspruch gegen die Nutzung ist möglich. Was könnte sich mit der ePA verbessern? Was sagen Datenschützer? Die wichtigsten Daten und Fakten.

An der ePA wird schon seit mehr als 20 Jahren gearbeitet. Schon seit 2021 bieten die Krankenkassen ihren Versicherten eine App zum Download an, mit der sie Zugang zur ePA bekommen – allerdings mit nur geringer Nachfrage. Deshalb hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Schalter umgelegt: Jeder erhält automatisch eine elektronische Patientenakte – außer, der Versicherte hat ausdrücklich widersprochen. Zunächst war die Patientenakte Mitte Januar in Modellregionen in Hamburg, Franken und NRW an den Start gegangen. Ab Mitte Februar sollte sie dann bundesweit eingesetzt werden. Wegen Sicherheitsbedenken, aber auch wegen technischer Probleme, wurde der Start weiter hinausgeschoben.

Widerspruchsrate geringer als erwartet

Die Befürchtungen der Versicherten sind offenbar nicht so groß wie von vielen erwartet. Die Bundesregierung ging zunächst von etwa 20 Prozent Widerspruch aus. Laut “Spiegel”-Recherche von vergangener Woche gibt es bislang nur eine Quote von durchschnittlich rund 5 Prozent. Dabei seien die Quoten für einzelne gesetzliche Krankenkassen sehr unterschiedlich, hieß es. Ein Widerspruch ist auch künftig jederzeit möglich.

Die ePA soll die bisher an verschiedenen Orten wie Praxen und Krankenhäusern abgelegten Patientendaten digital zusammentragen und ein Ende der Zettelwirtschaft im Gesundheitswesen bringen. Notfalldaten, Laborwerte, Röntgenbilder, Arztbriefe, Befunde und Medikationspläne, aber auch der Impfausweis, der Mutterpass, das Untersuchungsheft für Kinder und das Zahnbonusheft sollen schrittweise elektronisch archiviert und schnell abgerufen werden können. Langfristig sollen Patienten auch ihre durch Fitnesstracker gewonnenen Gesundheitsdaten – Blutzuckerwerte, Blutdruckmessungen – in der ePA einspeichern können. Rund 200.000 Leistungserbringer – Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheker, Pflegeheime und andere Gesundheitseinrichtungen – sollen durch die ePA besser vernetzt werden.

Ziel der elektronischen Patientenakte: Kosten senken

Ziel ist es, wichtige Informationen zur Gesundheit des Patienten ein Leben lang digital zu speichern, damit sich Ärztinnen und Ärzte im Notfall schnell einen Überblick über die Krankengeschichte verschaffen können. Auch sollen unnötige Doppeluntersuchungen und unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen vermieden werden. Mit der Speicherung soll das Gesundheitswesen effektiver, schneller, unbürokratischer und damit auch kostengünstiger gemacht werden.

Der Einführung waren jahrelanger Streit, viel Widerstand bei Ärzten und Datenschützern und viele technische Versuche vorausgegangen: Zentrale Konflikte sind der Aufbau sicherer Datenverbindungen, für alle gültige Sicherheitsstandards, die Kosten und der Datenschutz. Die Ärzte befürchten Mehrarbeit, weil sie die Daten doppelt dokumentieren müssen: in der elektronischen Patientenakte und ihren eigenen Akten.

Die gesetzlichen Krankenkassen müssen ihren Versicherten eine App für die elektronische Patientenakte anbieten – für Smartphone, PC oder Laptop. Mit der App kann man Dokumente hoch- oder herunterladen, anzeigen, verbergen und löschen, Widersprüche erteilen oder Vertreter ernennen. Ebenso können die Besitzer Zugriffsberechtigungen und Zugriffsdauer von Ärzten, Apothekern oder Ähnliches festlegen. Eine Datenmitnahme bei Krankenkassenwechsel ist möglich.

Ärzte sind verpflichtet, die Patientenakte zu befüllen. Die Daten gehören aber den Patienten. Sie können deshalb auch bestimmen, ob und welche Informationen in der ePA gespeichert werden und auch, welche wieder gelöscht werden sollen. Patienten können auch entscheiden, dass der Arzt in die Patientenakte nur hineinschreibt, aber nicht sieht, was dort schon enthalten ist. Sie können auch vorgeben, ob sie die Daten entweder nur für die aktuelle Behandlung oder für einen längeren Zeitraum (zum Beispiel in der Hausarztpraxis) freigeben.

Patientinnen und Patienten sollen auch bestimmen, ob für sie vielleicht problematische Informationen wie psychische Erkrankungen, Aids oder ein Schwangerschaftsabbruch in der ePA stehen. Deshalb können sie verschiedene Vertraulichkeitsstufen einstellen. Fraglich ist aber, wie benutzerfreundlich die Technik ist und ob Patienten damit umgehen können. Der Verbraucherzentrale Bundesverband und die Deutsche Aids Stiftung drängten auf unkomplizierte Einstellungen, welcher Mediziner was einsehen kann. Der Zahnarzt müsse nichts von der Psychotherapiebehandlung erfahren.

Zugangskontrollen und Sicherheitsmaßnahmen

Patientinnen und Patienten müssen die medizinischen Daten mittels ihrer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) und einer persönlichen Identifikationsnummer (PIN) freigeben. Ärztinnen und Ärzte benötigen für den Zugriff einen zweiten Schlüssel, nämlich ihren Heilberufsausweis und ebenfalls eine PIN. Wer als Patient selber Zugriff zu seinen Daten haben will, muss eine entsprechende App seiner Krankenkasse herunterladen.

Der Zugriff auf die ePA erfolgt über die Telematikinfrastruktur, ein Netzwerk, das in sich geschlossen und sicher sein soll. Niemand außer der oder dem Versicherten und denjenigen, die von diesen zum Zugriff berechtigt wurden, können die Inhalte lesen, auch die Krankenkassen nicht. Sie sollen weiterhin nur Zugriff auf die Abrechnungsdaten haben. Datenschützer haben die Sicherheit mehrfach in Frage gestellt. Der Chaos Computer Club hatte im Dezember Sicherheitslücken aufgedeckt. Vor wenigen Tagen erklärte er, es gebe weiterhin Sicherheitsbedenken. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) versicherte demgegenüber, die Gefahr eines unbefugten Zugriffs sei gebannt.

Chancen für die Wissenschaft

Experten betonen, Deutschland sei aus Datenschutzgründen etwa in der Krebsforschung dramatisch zurückgefallen. Gesundheitsdaten seien derzeit die wichtigste Quelle für neue Forschung. Lauterbach betont, es gebe schon jetzt eine riesige Menge Daten, die aber in getrennten Silos lägen und nicht miteinander verknüpft werden könnten. Um das zu ändern, soll unter anderem eine zentrale Stelle eingerichtet werden, die einen Zugang zu pseudonymisierten Daten aus verschiedenen Quellen wie Krebsregistern, Krankenkassendaten und Daten aus der elektronischen Patientenakte ermöglichen soll. Patienten sollen der Nutzung ihrer Daten zu Forschungszwecken aber auf der ePA widersprechen können.