“Das Haus stürzt ein!”, ruft das Mädchen Stella, sucht mit seinen Händen das Gebäude zu stützen. Ihre Eltern finden sie nachts auf dem Dachspitz wieder. Die etwa Zehnjährige hat einen Alptraum, “geistert herum”, wie so häufig. Von ihrem Tun abbringen lässt sie sich erst, als der Vater verspricht, seinerseits das Dach zu halten. Die Szene ist natürlich sinnbildlich zu verstehen: Das Haus steht für die Familie, die hier zu erodieren droht. Denn in dem Drama “Querschuss”, zu sehen am Mittwoch, 12. Februar um 20.15 im der ARD, geht es nach dem Suizid des knapp 80-jährigen Vaters, Opas, Ex-Geliebten, Schwiegervaters und engsten Ratgebers unter den Hinterbliebenen ans Eingemachte.
Gerade noch planten Andreas (Christian Berkel), seine Frau Bibi (Bibiana Beglau) und die gemeinsamen Kinder Clemens (Thomas Prenn) und Stella (Stella Kann) die Feier zu Joachims 80. Geburtstag, da liegt “Opi” plötzlich tot in der Einliegerwohnung: eine Selbsttötung.
ARD-Film “Querschuss”: Was trieb Joachim in den Selbstmord?
Andreas treibt fortan die Frage nach dem “Warum” um – war Joachim einsam, depressiv, anderweitig krank? “Keine Ahnung, wer der Typ war!”, bricht es einmal aus ihm hervor. Dazu kommen Trauer, Selbstzweifel, verletzte Gefühle. Nie sei er “gut genug” für den kühlen Patriarchen gewesen, so empfindet es der Sohn. Und das, obwohl man Tür an Tür wohnte, der alte Herr täglich zum Essen herüberkam – Andreas war nach Stellas Geburt mitsamt Familie ins Elternhaus zurückgezogen. Für diesen also umso schlimmer, als das Testament auftaucht: Das Haus soll Andreas’ labiler Schwester Ulrike und nach deren Tod Clemens überschrieben werden. Der bereits erwachsene Enkel, der als Arzt in die beruflichen Fußstapfen des Großvaters trat, hatte zu diesem eine besonders enge Bindung.
“Querschuss”: Kammerspiel auf engem Raum
Auch Bibi trauert, still, für sich – die selbstbewusste Frau muss stark bleiben für die anderen. Die sensible Stella wiederum ist verunsichert, versucht auf ihre Weise, die auseinanderdriftende Familie zusammenzuhalten. Ergänzt wird das Ensemble durch die angereiste Ulrike (Andrea Sawatzki) sowie Bernadette (Ursula Werner), eine Ex-Geliebte Joachims. Diesen sechs Personen, für einige Tage kammerspielartig auf recht engem Raum zusammenlebend, folgt man bei ihren Bemühungen, mit dem so plötzlichen Tod umzugehen. Und lernt über deren unterschiedliche Perspektiven einen überraschend vielseitigen Menschen in ihrem (leeren) Zentrum kennen.
Drehbuchautorin Esther Bernstorff hat schon an der grandiosen Arte/ARD-Serie “Haus aus Glas” federführend mitgeschrieben; in “Querschuss” zeigt sich erneut ihre hohe Qualität bei Figurenzeichnung, alltagsnahen Dialogen und dem Entwerfen psychologisch überzeugender Beziehungen. Zum Leben erweckt wird dies durch die herausragenden Schauspieler, wobei neben den renommierten Namen und der Neuentdeckung Thomas Prenn gerade auch die junge Stella Kann hervorzuheben ist.
Feine Regie von Nicole Weegmann
Unter der sorgfältigen, feinen Regie von Nicole Weegmann bilden sie ein stimmiges familiäres Geflecht, in dem die Figuren bei allen Zuschreibungen etwas Durchlässiges, Flirrendes behalten. Das passt zum Sommer draußen vor der Tür, der in den ausgeblichenen Farben der Kamera von Julian Krubasik aufscheinenden Hitze und Schwüle, welche den gefühlten Druck noch erhöhen. Bis sich Wetter wie Stimmung, lange ersehnt, endlich entladen.
Dennoch gibt es in “Querschuss” nicht den einen, knalligen Höhepunkt; das widerspräche dem Charakter des Films. Auch bleibt einiges ungeklärt in diesem atmosphärischen, durch so dezent wie effektiv eingesetzte Musik schön akzentuierten Stück Fernsehen – wie es im Leben eben auch so oft der Fall ist. Der Schwere des Themas trotzt dieses Drama immer wieder wunderbare Momente der Leichtigkeit und des Lachens ab, hält dabei eine gute Balance.
Durchschnittlich wie die Familie in ihrem Zentrum ist übrigens auch der Schauplatz der Geschichte – ein unspektakuläres 60er-Jahre-Haus, wie es sie zigfach gibt in Deutschland. Eine passende Wahl für diese universell gültige, intensive und im Übrigen sehr lebendige Story einer ganz normalen Familie im Ausnahmezustand.