Der über 500 Jahre alte „Kerckring-Altar“ von Jacob van Utrecht kann nach aktueller juristischer Einschätzung in Lübeck bleiben. Das teilte die Lübecker Stadtverwaltung am Freitag mit. Das Altarretabel aus dem Jahr 1520 befindet sich den Angaben zufolge seit rund 80 Jahren im Lübecker St. Annen-Museum. Davor war es viele Jahre in Riga, weswegen sich das lettische Kulturministerium im September 2023 mit einem Restitutionsgesuch an die Lübecker Museen beziehungsweise an die Hansestadt Lübeck gewandt habe, hieß es.
Aufgrund der Komplexität des Falls habe die Hansestadt Lübeck daraufhin das Auswärtige Amt, das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg sowie die Kulturabteilung im Ministerium für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein über die Angelegenheit informiert und den Fachanwalt Peter Raue (Kanzlei Raue, Berlin) beauftragt, den Sachverhalt juristisch zu prüfen, informierte die Satdt. Inzwischen liege ein Ergebnis vor, das dem Ausschuss für Kultur- und Denkmalpflege am 11. Mai als Bericht präsentiert werde.
Demzufolge sei die Stadt Riga rechtlich nie Eigentümerin des Kerckring-Altarretabels gewesen, sondern habe dieses nur als Leihgabe verwahrt. Das Retabel habe sich nach Aussage des Gutachtens weiterhin im Besitz der Familie Sengbusch befunden, die es 1992 offiziell der Hansestadt Lübeck gestiftet hatte, hieß es. Dies habe der Lübecker Bürgermeister der lettischen Kulturministerin am 7. Februar 2025 in einem Schreiben unter Beifügung des Gutachtens mitgeteilt.
Das Kerckring-Altarretabel ist laut Stadtverwaltung kunst- und kulturhistorisch eines der bedeutendsten Werke des St. Annen-Museums. Es wurde im Jahr 1520 durch den niederländischen Künstler Jacob van Utrecht (geboren um 1479, gestorben nach 1525) im Auftrag des Lübecker Ratsherrn und Kaufmann Heinrich Kerckring (1479-1540) gemalt. „Bei dem Retabel handelt es sich um das einzige signierte, in Lübeck entstandene und existierende Werk des Künstlers“, hieß es. Abgebildet sind Heinrich Kerckring und seine Frau Katharina.
Über den unmittelbaren Verbleib des Altarretabels nach dem Tod von Heinrich Kerckring sei nichts bekannt, hieß es. 1893 sei es im Nachlass des Kunstsammlers Friedrich Wilhelm Brederlo aufgetaucht, der seine gesamten Schätze seinem Schwiegersohn Wilhelm von Sengbusch vermachte. 1906 erhielt das Kunstmuseum in Riga diese Sammlung inklusive des Retabels als Dauerleihgabe von der Familie Sengbusch, bis diese aufgrund des Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrags 1939/40 aus Riga vertrieben wurde.
Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Riga 1941 „schenkte“ der neue Gebietskommissar und kommissarischer Oberbürgermeister von Riga laut Mitteilung das Kerckring-Altarretabel der Hansestadt Lübeck, woraufhin es ins St. Annen-Museum gelangte. 1965 habe die Familie von Sengbusch das Retabel im St. Annen-Museum entdeckt. „Sie meldete Eigentumsansprüche an, war aber bereit, das Werk dem St. Annen-Museum als Leihgabe zur Verfügung zu stellen“, informierte die Stadt Lübeck.
Im Jahr 1992 sei es dann zu einer vertraglichen Vereinbarung zwischen der Erbengemeinschaft und der Hansestadt Lübeck gekommen, mit der die Hansestadt Lübeck das Eigentumsrecht der Familie an dem Altarretabel anerkannte und es ihr restituierte. Im Gegenzug habe die Familie im selben Jahr das Kerckring-Altarretabel dem St. Annen-Museum gestiftet.
Das lettische Kulturministerium habe sich bei seinem Restitutionsgesuch im Jahr 2023 auf das Testament des ursprünglichen Besitzers Friedrich Wilhelm Brederlo berufen, nach dem die Sammlung als Ganzes in Riga erhalten bleiben solle, hieß es. Das Ministerium habe argumentiert, dass es sich bei der Übergabe der Sammlung 1906 an das Kunstmuseum Riga nicht um eine Leihgabe, sondern um eine Eigentumsübertragung gehandelt habe. Zudem habe das Ministerium die Schenkung aus dem Jahr 1941, wodurch das Retabel nach Lübeck gelangte, als widerrechtlich erlangte „Kriegsbeute“ bezeichnet.