Uwe Tegtbur ist nicht nur Direktor der Klinik für Rehabilitations- und Sportmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), sondern selbst Fahrradfan. „Keine Parkplatzsuche, kein Stau, tolle Naturerlebnisse, Bewegung an der frischen Luft, bessere Fitness und Gesundheit – was will man mehr“, schwärmt der Sportmediziner.
Den gesundheitlichen Nutzen des Radfahrens kann Tegtbur genau benennen: Blutdruck, Blutzucker und Blutfette werden gesenkt, der Verkalkung der Arterien, Übergewicht und Diabetes vorgebeugt. Bereits drei Stunden Radfahren in der Woche reduziere das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 50 Prozent, sagt Tegtbur mit Blick auf den Weltfahrradtag am Sonntag, 3. Juni. „Ein toller gesundheitlicher Effekt im Vorbeigehen.“
Radfahren verlängert Lebenserwartung
Das bestätigt auch der „Nationale Radverkehrsplan 3.0“: „Regelmäßiges Radfahren verlängert die gesunde Lebenserwartung signifikant“, heißt es in der Radverkehrsstrategie des Bundes. Der positive Effekt übersteige deutlich die Belastung durch Schadstoffe, selbst entlang dicht befahrener Straßen.
Drei zentrale Ziele sind im Radverkehrsplan verankert: Bis 2030 sollen die im Jahr 2017 von den Bürgern mit dem Rad zurückgelegten 112 Millionen Kilometer auf 224 Millionen verdoppelt werden. Der Anteil der Menschen, die angeben, in Zukunft mehr Rad fahren zu wollen, soll von 41 Prozent (2019) auf 60 Prozent steigen. Und der Radverkehr soll sicherer werden. Ziel sei es, die Zahl der getöteten Radfahrer im Vergleich zu 2019 um 40 Prozent zu senken – trotz mehr Radverkehr, heißt es in dem Papier.
Dieser Radweg in Kopenhagen🇩🇰 transportiert 8x so viele Menschen, wie die Autospur.
Wer Städte attraktiv zum Radfahren macht, verbessert sie für alle. 🌍❤️🚲#MehrPlatzFürsRad
— Stephanie Krone (@FrauKrone) December 18, 2020
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. 2022 sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts bundesweit 474 Rad- und Pedelec-Fahrer im Straßenverkehr gestorben – ein deutlicher Anstieg gegenüber 2021. Damals wurden 372 Fahrradfahrer getötet. Langfristig betrachtet sinkt das Unfallrisiko für Radfahrer allerdings seit Jahren, trotz Verdichtung des Straßenverkehrs.
Rad-Tour: Erst in den Wald, dann ins Café
Tegtbur empfiehlt Menschen, die häufiger Rad fahren wollen, auf Routen mit wenig Verkehr auszuweichen. Ob am Wochenende oder nach Feierabend: Wer den Wald oder Feldwege wähle, müsse nicht durchgehend auf den Verkehr achten und verbinde gesunde Bewegung mit Entspannung und Naturerlebnissen. „Radeln Sie zu zweit, wählen Sie ein Ziel, ein nettes Café für eine Pause“, rät der Medizinprofessor. „Es geht nicht um Höchstleistung, die körperliche Bewegung sollte im Vordergrund stehen.“

Und noch einen Tipp hat Tegtbur für alle, die das Auto häufiger in der Garage lassen wollen, denen aber der Umstieg auf das Fahrrad bisher schwergefallen ist: das E-Bike. Die Räder mit Tretunterstützung haben seiner Ansicht nach viele Vorteile. So kämen E-Bike-Fahrer nicht verschwitzt bei der Arbeit an. Gegenwind und Steigungen fielen weniger ins Gewicht, ebenso die Länge der Wegstrecke.
Einer MHH-Studie aus dem Jahr 2023 zufolge führen diese Vorteile dazu, dass E-Bike-Fahrer ihr Auto häufiger stehen lassen als andere Radfahrer. Gesundheitlich betrachtet habe das E-Bike ähnliche Vorteile wie herkömmliche Räder. „Muskeln und Herz-Kreislaufsystem werden fast genauso effektiv trainiert wie beim Radfahren“, sagt Tegtbur.
Deutschland – alles andere als ein Fahrradparadies
Eltern mit Lastenrädern, Studentinnen auf Holland-Rädern, Rentner auf E-Bikes und Geschäftsleute auf schnittigen Businessbikes: Laut Bundesverkehrsministeriums fahren heute bereits mehr als 80 Prozent der Deutschen Rad. 55 Prozent bezeichnen es als „unverzichtbares Verkehrsmittel“. Vor allem bei Entfernungen von bis zu 15 Kilometern steigen viele Menschen aufs Fahrrad um. In 80 Prozent aller Haushalte ist ein Rad vorhanden, in 30 Prozent sind es sogar drei oder mehr. Insgesamt gibt es bundesweit etwa 78 Millionen Fahrräder.
Trotz dieser beachtlichen Zahlen: Wer an ein Fahrradparadies denkt, hat wahrscheinlich keine deutsche Stadt, sondern eher eine Metropole wie Kopenhagen vor Augen. Kein Wunder, die Radwege sind dort komfortabel und breit und die Ampeln in der Rushhour zugunsten der Radfahrer geschaltet. Fahrrad-Schnellwege bringen Radler aus dem Umkreis sicher in die dänische Hauptstadt und wieder heraus. Doch Deutschland holt auf. Die Mobilität ist im Wandel, die Diskussion über autofreie Innenstädte und Flächengerechtigkeit in vollem Gang.