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Spinnen, Spritzen, Prüfung: Wenn Angst chronisch wird

Die Fastenzeit steht unter dem Motto “Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik”. Für Menschen mit Phobien ist das leichter gesagt als getan. Doch die Angst vor Spinnen und Co. lässt sich behandeln.

Menschen mit Phobien sollten sich ihren Ängsten stellen – und auch schon mal eine Spinne über ihre Hand krabbeln lassen
Menschen mit Phobien sollten sich ihren Ängsten stellen – und auch schon mal eine Spinne über ihre Hand krabbeln lassenImago / Westend 61

Panik ist ein Gefühl, das fast jeder kennt. Die Hände zittern, das Herz rast, der Verstand setzt aus. Kurzum: Der Körper spielt verrückt. „Angst gehört zum Leben dazu. Sie schützt uns vor Gefahren“, sagt Anja Riesel, Leiterin der Forschungsambulanz für Angst- und Zwangsstörungen an der Universität Hamburg. Problematisch wird es allerdings, wenn sie chronisch wird und die Lebensqualität einschränkt. Jeder vierte Mensch entwickelt in seinem Leben eine Angststörung, wie eine Phobie vor Spritzen, Spinnen oder Prüfungen. Frauen sind doppelt so oft betroffen wie Männer. Die gute Nachricht: „Angststörungen sind sehr gut zu behandeln“, sagt die Professorin für Klinische Psychologe und Neurowissenschaften.

Bis die Betroffenen sich allerdings Hilfe holen, dauert es oft viele Jahre. „Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen und sind eine der größten Ursachen für Beeinträchtigung weltweit. Aber sie sind ein Tabuthema“, erklärt die 43-Jährige. Die Betroffenen schämen sich und leben mit ihrer Angst. Werden die Störungen aber nicht behandelt, steigert sich ihre Intensität. Wer Angst vor Hunden hat, macht um die bellenden Vierbeiner einen großen Bogen. Positive Erfahrungen mit Hunden finden nicht statt, die Angst bleibt und verstärkt sich weiter.

Phobien: Ängstliche Eltern bekommen ängstliche Kinder

Zu den häufigsten Angststörungen gehören spezifische Phobien wie die Angst vor Spinnen, Höhen, Hunden und Spritzen. Auch soziale Ängste, wie die Furcht vor Vorträgen und Prüfungen, unerwarteten Panikattacken sowie die Vermeidung von Menschenmengen oder Verkehrsmitteln, sind in der Gesellschaft verbreitet. Die Ursachen sind laut Riesel vielfältig. Die meisten Angststörungen entwickeln sich in der Kindheit und Jugend. Charaktereigenschaften wie Schüchternheit, aber auch Genetik und soziales Umfeld spielen eine Rolle. „Ängstliche Eltern bekommen eher ängstliche Kinder. Das Vorleben der Angst überträgt sich“, meint Riesel, die seit 2019 die Hamburger Forschungsambulanz leitet.

Anja Riesel ist Leiterin der Forschungsambulanz für Angst- und Zwangsstörungen an der Universität Hamburg
Anja Riesel ist Leiterin der Forschungsambulanz für Angst- und Zwangsstörungen an der Universität Hamburgepd-bild / Nadine Heggen

Auch negative Lebensereignisse und Lernerfahrungen erhöhen das Risiko. Ein Kind, das beim Zahnarzt große Schmerzen erfährt und sich schwer damit tut, solche Erfahrungen wieder zu vergessen, kann eine Angststörung entwickeln. Daneben spielt Vermeidungsverhalten eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung von Ängsten.

Je nach Therapiedauer werden bis zu 100 Menschen pro Jahr in der Hamburger Forschungsambulanz für Angst- und Zwangsstörungen psychotherapeutisch behandelt. „Die Verhaltenstherapie ist sehr wirksam. Voraussetzung ist, dass sich die Betroffenen öffnen“, sagt die Psychologin. Denn ohne Mut geht es nicht. Nach einem Erstgespräch und einer Phase der Vorbereitung müssen sich Betroffene ihren Ängsten stellen. Bei Höhenangst gehe es beispielsweise mit dem Therapeuten auf den Hamburger Fernsehturm. Wer Angst vor dem Telefonieren hat, muss zum Hörer greifen. Und Menschen, die in Bus und Bahn panisch werden, müssen in den Zug steigen.

Leiterin der Angstambulanz hatte früher selbst Phobie

Nach etwa 24 Therapiestunden haben die Betroffenen ihre Angst in der Regel im Griff. Die Konfrontation hat ihnen gezeigt, dass ihnen in den gefürchteten Situationen nichts Schlimmes passiert. „Was am besten gegen Angst hilft, ist, das zu machen, wovor man Angst hat“, ist Riesels Credo. Übung sei in diesem Fall die beste Medizin.

Denn damit stellten sich die Erfolgserlebnisse ein. „Die Betroffenen sind stolz darauf, dass sie ihre Angst überwunden haben und erobern sich Lebensbereiche zurück“, erklärt die Professorin, die früher selbst Angst davor hatte, Vorträge zu halten. Mittlerweile ist das für sie kein Thema mehr. Stattdessen ist Referieren vor Publikum ein großer Teil ihres Jobs.